Vatikan-Forscher über Geheimarchiv: ?Problem sind Sensationsautoren"
Das Römische Institut der Görres-Gesellschaft sitzt am Camposanto Teutonico im Vatikan, Heid kennt das Geheimarchiv seit Jahrzehnten.
Radio Vatikan: Wie sinnvoll ist es, das Archiv umzubenennen? Stimmt es, dass ?Geheimarchiv“ die falschen Assoziationen weckt?
Stefan Heid: Das stimmt sicherlich teilweise, also die Maßnahme ist sinnvoll, aber nicht notwendig. In der Forscherwelt ist immer klar gewesen, dass das vatikanische Geheimarchiv nicht geheim ist, sondern dass jeder Forscher dort alle Akten, die nach einem bestimmten Stichdatum freigegeben sind, einsehen kann. Aber in der allgemeinen Öffentlichkeit wird ?geheim“ missverstanden als Geheimniskrämerei oder Versteckspiel des Vatikans, was nicht der Fall ist.
Radio Vatikan: Hatten Gelehrte Ihres Wissens vor diesem Hintergrund schon länger eine Umbenennung des Vatikan-Archivs für sinnvoll gehalten?
Stefan Heid: Nein, das habe ich nie gehört. Für Forscher ist es überhaupt kein Problem gewesen. Das Problem sind die Sensationsschriftsteller, die immer damit hausieren, aus dem Geheimarchiv Akten zu haben. Jeder, der sich etwas auskennt, weiß, dass diese Akten überhaupt nicht geheim sind, sondern jedem zugänglich. Dieser Missbrauch durch Sensationsschriftsteller war auch ein Ärgernis der Forschung. Ich glaube aber nicht, dass sich mit der Umbenennung des Archivs etwas ändern wird, man wird weiterhin vom Geheimarchiv sprechen.
Radio Vatikan: Welche Auswirkungen hat die Umbenennung für die Arbeit der Forschenden?
Stefan Heid: Eigentlich keine. Das einzige ist, dass sich jetzt eine neue Abkürzung einstellen muss. Bisher hat man das Archivio Segreto Vaticano nach den Anfangsbuchstaben mit ASV abgekürzt, es heißt jetzt Archivio Apostolico Vaticano, also ist die Abkürzung AAV. Ich habe nachgeschaut, es scheint nicht so zu sein, dass sich diese Abkürzung mit etwas anderem überschneidet, Gottseidank. Also kann man die Abkürzung der Archivalien, die man immer genauestens bei jeder Veröffentlichung dokumentieren muss, problemlos übernehmen. Es wird natürlich so sein, dass die ganze ältere Literatur eine andere Abkürzung hat. Das wird zu Verwirrung führen, aber gut, das ist jetzt einfach nicht zu ändern.
Radio Vatikan: Das Geheimarchiv heißt nicht immer schon seit seiner Gründung ?Geheimarchiv“, sondern das war erst der dritte Name dafür. Der neue Name, Apostolisches Vatikanisches Archiv, den Franziskus verfügt hat, greift einen alten, schon im 17. Jahrhundert gebräuchlichen Namen wieder auf. Ist das richtig so?
Stefan Heid: In gewisser Weise. Archivio Apostolico war natürlich der Ursprungsbegriff. Apostolisches Archiv heißt päpstliches Privatarchiv. Apostolisch nicht im Sinn von Apostel, sondern der Apostolicos ist der Papst. Man könnte also eigentlich auch die neue Benennung im Deutschen formulieren: das vatikanische päpstliche Archiv. Das ist aber umständlich, das wird sicher niemand, auch kein Journalist, jemals benutzen, man wird weiterhin vom Geheimarchiv sprechen. Aber die neue Formulierung ist in der Tat nicht neu. Ein Archiv hat der Papst sicher schon seit dem 7. oder 8. Jahrhundert, wahrscheinlich schon seit dem 4. Jahrhundert. Archive sind eine Selbstverständlichkeit der Päpste, sie müssen ja ihre Akten dokumentieren.
Radio Vatikan: Wie ordnen Sie die Umbenennung des Archivs heute, 2019, ein?
Stefan Heid: Die neue Nomenklatur steht sicherlich auch im Zusammenhang einer weiteren Öffnung der Bestände, nämlich der Bestände aus dem Pontifikat Pius XII., die im März 2020 erfolgen wird. Da wird ein großer Ansturm auf das Archiv zu erwarten sein, und da werden sämtliche Zitationen mit dem neuen Namen erfolgen müssen.
Radio Vatikan: Welchen Stellenwert hat das Apostolische Vatikanische Archiv in der Welt der Forschung heute?
Stefan Heid: Ungebrochen eine zentrale Funktion in der Forscherwelt. Die Bestände des vatikanischen Archivs sind zu umfangreich, zu gewaltig, zu bedeutend, immerhin ist die katholische Kirche eine Weltkirche, hier finden sich Dokumente aus allen Kontinenten. Natürlich mit der heutigen Digitalisierung werden die Bestände immer geringer, aber so lange noch die Papierproduktion von Akten bestand, sind die Ausmaße des Archivs immens. Pius XII. allein hat 16 Millionen Seiten Archiv. Das sind so gewaltige Mengen, da ist völlig klar, dass dieses Archiv überaus bedeutend ist, nicht nur für kirchliche Belange, sondern auch für rein weltliche Belange.
(vatican news)
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