Katholikinnen beim Konzil: ?Da gibt es ganz überraschende Befunde"
Gudrun Sailer – Vatikanstadt
Pope: Frau Heyder, Sie schreiben, das Konzil habe für die Katholikinnen einen Übergansprozess in ihrem Selbstverständnis und in ihrer Haltung gegenüber den kirchlichen Gegebenheiten markiert. Inwiefern?
Regina Heyder: ?Bis zum Konzil haben Frauen immer wahrgenommen: Wir sind Katholikinnen oder Laien zweiter Klasse. Die kürzlich verstorbene Theologin Elisabeth Gössmann hat es so formuliert, dass das Konzil die Gleichberechtigung der Frau mit dem Mann im Laienstand gebracht hat. Und dass sie das Wort ?Gleichberechtigung‘ überhaupt in den Mund nimmt, ist schon Zeichen dafür, dass Frauen selbstbewusster geworden waren. Zuvor hatte man das nur mit ganz spitzen Fingern angefasst.“
Pope: Im Kapitel ?Konzilserwartungen“ geht es um einzelne Katholikinnen, um Frauenverbände und um Ordensschwestern, die Petitionen nach Rom oder an Konzilsväter schickten bzw. mit ihnen korrespondierten. Dabei waren solche Frauen-Petitionen in den Vatikan in den Konsultationsprozessen gar nicht vorgesehen...
Regina Heyder: ?Das stimmt. Laienpetitionen waren nicht vorgesehen, Frauenpetitionen waren auch nicht vorgesehen. Die Vorbereitungskommissionen haben vor allem Bischöfe, Ordensleute und theologische Fakultäten befragt. Was ich aber dann großartig finde: Die Petitionen von Frauenverbänden, aber auch von einzelnen Frauen, von einzelnen Männern, wurden wirklich in den Kommissionen ausgesprochen aufmerksam gelesen. Es gibt Anmerkungen in diesen Briefen und Texten, manchmal sogar ein Exzerpt in italienischer Sprache. Falls also die Petitionen ungebeten waren - gelesen und wahrgenommen wurden sie sehr wohl.”
Pope: Würden Sie das so interpretieren, dass da im Vatikan ein neues Interesse an der Laienwelt erwacht?
Regina Heyder: ?Das würde ich auf jeden Fall so sehen. Es ist erstmals Interesse da, und es ist ungeheuer großes Arbeitsethos da. Man macht da überhaupt nichts lächerlich, sondern beachtet diese Dinge wirklich. Und es ist ja tatsächlich so: Viele der Laienpetitionen haben Anliegen aufgegriffen, die auch einzelne Bischöfe hatten. Man muss sich das nicht so vorstellen, als wären die Laienpetitionen grundsätzlich in eine andere Richtung gegangen, sondern in Fragen zur Liturgie gab es immer auch Unterstützer bei Bischöfen und einzelnen Theologen.”
Pope: Wie würden Sie die Hauptanliegen von Frauen an das Konzil vorab zusammenfassen?
Regina Heyder: ?Generell geht es den Frauen um ihren Status als Frauen und als Laien in der Kirche. Da formuliert ein Frauenverband, dass die Würde von Frauen in der Kirche anerkannt werden muss. Offenkundig erkennen die Frauen da ein Defizit. Dann spielt die Liturgie eine ganz große Rolle. Da geht es den Frauen darum, ihren christlichen Glauben überzeugt und überzeugend leben zu können. Dafür wünschen sie sich dann liturgische Neuerungen. Sie wünschen sie mehr Volkssprache, mehr Muttersprache in der Messfeier, sie wollen, dass Fürbitten und der Friedensgruß eingeführt werden. Nächstes Thema, das die Frauen vorbringen, und zwar lieber unter dem Deckmantel eines Verbandes denn als Einzelne, das ist das Thema der Empfängnisverhütung, und da sprechen sie vor allem erfahrungsbezogen. Sie sprechen also von ihren Schwierigkeiten, sich als Ehepaare an die katholische Lehre zu halten und davon, dass sie im Beichtstuhl durchaus peinliche Situationen erlebt haben. Ein dritter Punkt, der auffällig häufig in diesen Konzilspetitionen auftaucht, ist die Priesterausbildung. Das wird so gesagt: In die Priesterausbildung sollen Frauen integriert werden, und man solle mehr Psychologie unterrichten. So verklausuliert heißt das, dass die Frauen mit der Seelsorge nicht unbedingt zufrieden sind, dass sie sich als Frauen nicht verstanden fühlen.”
Pope: Ein Zitat aus Ihrer Einführung: ?Zu Beginn des Konzils waren die Verhältnisse noch klar: Auch als Laien haben katholische Frauen nicht die gleichen Rechte wie katholische Männer“. Woran zeigte sich das?
Regina Heyder: ?Das zeigt sich zum Beispiel im Kirchenrecht, wo immer wieder Unterschiede zwischen Frauen und Männern formuliert werden. Frauen haben weniger Rechte in der Ehe. Ihr Mindestheiratsalter ist niedriger. Wenn ritusverschiedene Eheleute heiraten, dass dann der Mann den Ritus der Frau bestimmt. Es gibt keine Ministrantinnen. Die Ordensfrauen werden immer etwas strenger reglementiert als die Ordensmänner. Auch kirchliche Verwaltungsaufgaben werden im kirchlichen Rechtsbuch eben nur den Männern zugeschrieben und nicht den Frauen.”
Pope: Das Konzil gliederte sich in vier Sitzungsperioden, an den letzten beiden nahmen Frauen als Hörerinnen teil: Zur dritten Sitzungsperiode waren 15 (Ordens-)Frauen eingeladen, zur vierten Sitzungsperiode wurde die weibliche Präsenz auf 23 Hörerinnen aufgestockt. Dabei hatte es zunächst gar nicht danach ausgesehen, dass Frauen zugelassen werden würden. Erzählen Sie!
Regina Heyder: ?Das stimmt. 1963 sind die ersten Laienauditoren angekündigt worden, da war Papst Paul VI. gerade Papst geworden. Er hat kurz vor der zweiten Sitzungsperiode gesagt, es werden auch Laienauditoren teilnehmen. Jetzt war für die Frauen einfach unklar: Wenn es ?Laien“ heißt, sind damit auch Frauen gemeint? Tatsächlich war es dann so, dass eine Theologin, Josefa Theresia Münch, bei einer Pressekonferenz zur Eröffnung der dritten Konzilsperiode gefragt hat: Sind denn auch Frauen eingeladen? Die anwesenden Journalisten haben einfach gelacht. Für sie war klar: Laienauditoren müssen Männer sein.”
Pope: Welche anderen Wortmeldungen gab es dann, die sich befürwortend eingeschaltet haben?
Regina Heyder: ?Kardinal Suenens hat einen Monat später in der Konzilsaula gesagt, man müsse zum Konzil auch Frauen einladen, weil Frauen, wenn er sich nicht irre, die Hälfte der Menschheit ausmachen. Das ist im Konzil dann hin und her bewegt worden. Auch dazu gibt es Petitionen, immer wieder schreiben Bischöfe, Frauen, andere, dass eben Frauen eingeladen werden sollen, und 1964 ist es dann so weit. Aber es war ausgesprochen hektisch. Papst Paul VI. hat die Teilnahme der Laienauditorinnen eine Woche vor der Eröffnung der dritten Sitzungsperiode angekündigt und sie dann auch gleich bei der Eröffnung begrüßt. Aber tatsächlich war noch keine einzige Frau da. Denn die Frauen haben ihre Ernennungsurkunden erst eine Woche später erhalten. Ab Anfang Oktober 1964 haben dann auch 15 Frauen am Konzil als Laienauditorinnen teilgenommen.”
Pope: Es waren also tatsächlich die nicht wenigen Wortmeldungen pro Frauenbeteiligung, die den Papst dazu bewogen haben, Frauen als Laienauditoren zum Konzil einzuladen?
Regina Heyder: ?Insgesamt, glaube ich, gab es sowas wie eine ?konzertierte Aktion“. Die Frauen haben an die Bischöfe geschrieben, an die Konzilsbischöfe, an das Konzil. Es lag irgendwie in der Luft, weil es tatsächlich keinen vernünftigen Grund gab, Frauen nicht in der Konzilsaula zuzulassen. Man muss dann allerdings auch sagen: Auch in der Konzilsaula sind sie etwas eingeschränkt behandelt worden.“
Pope: Woran zeigte sich das?
Regina Heyder: ?Nun, sie mussten etwa in eine eigene Kaffeebar gehen. Außerdem durften sechs Laienauditoren, also sechs Männer, während des Konzils eine Rede halten - und das ist den Frauen explizit verwehrt worden, weil man gesagt hat, dazu ist die Zeit noch nicht reif. Aber wenn Sie jetzt fragen, woran liegt es jetzt wirklich, dass Frauen zugelassen wurden, liegt es an diesen Briefen: Ich würde sagen, es war einfach unausweichlich, es war in der Luft, dass man es nicht mehr anders machen konnte. Man hatte ja auch von Seiten des Konzils Erwartungen an Frauen, zum Beispiel mit Blick auf das Laienapostolat. Das war ohne Frauen nicht denkbar. Wenn man Frauen gewinnen wollte, dann musste man sie in die Konzilsarbeit in dieser Weise der Hörerin integrieren. Hören heißt ja wirklich hören, also kein Stimmrecht, aber präsent sein und diese Präsenz bedeutet viel.“
Die Konzilsmitarbeiterinnen
Pope: Werfen wir einen Blick auf die Konzilsmitarbeiterinnen, die in Ihrem Buch eine entsprechende Würdigung finden. Das ist ein gezielter Blick auf Frauen, die am Konzil, nach außen hin unsichtbar, mitarbeiteten. Wie würden Sie diese Gruppe der Konzilsmitarbeiterinnen zusammenfassen?
Regina Heyder: ?Da gibt es ganz überraschende Befunde. Die Frauen haben über die Mitarbeit in Kommissionen versucht, Einfluss aufs Konzil zu nehmen, auf zwar ganz verschiedene Weise. Wir haben aus Deutschland eine ZdK-Mitarbeiterin, Maria Alberta Lücker, die sagte: ?Ich möchte beim Konzil mitarbeiten.“ Das gelingt ihr dann tatsächlich. Sie hat Kontakte zu Bischof Hengsbach [Franz Hengsbach, 1910-1991, erster Bischof von Essen], der wiederum für das Laienschema zuständig ist, also für den Text über die Laien und der sagt: ?Ja, ich kann Sie brauchen. Sie können hier in diesem Konzilssekretariat zwischen diesen männlichen Laienauditoren (das war 1963) mitarbeiten“. Das macht sie dann auch, und Hengsbach und Maria Alberta Lücker arbeiten Hand in Hand. Hengsbach möchte von ihr Dinge, sie möchte von ihm Dinge, beide haben eine kirchenpolitische Agenda und versuchen da Einfluss zu nehmen, etwa auf den Zeitpunkt, an dem dann auch dieses Laienschema diskutiert worden ist. Es gibt weitere Konzilsmitarbeiterinnen, die zum Beispiel im Ökumene-Sekretariat eingesetzt waren. Auch sie haben einfach durch ihre Kontakte das Konzil mitgeprägt.”
Pope: Wenn wir einen großen Blick von außen auf das Geschehen werfen aus einem weiblichen Blickwinkel: Was von den Anregungen der Frauen wurde vom Konzil übererfüllt, was steht heute noch aus?
Regina Heyder: ?,Übererfüllt´: Die Diagnose haben die Frauen selber gestellt mit Blick auf die Liturgie. Da sind ihre Erwartungen mehr als erfüllt worden. Sie haben sich nachher auch in dieser neuen Liturgie ausgesprochen zuhause gefühlt. Sie waren begeistert davon. Sie haben überall erzählt, wie toll diese neue Liturgie ist, haben, als sie eingeführt wurde, auch dazu beigetragen, dass sie akzeptiert wurde. Bei der Thematik Empfängnisverhütung haben die Frauen und auch die männlichen Laien zunächst gedacht: Da sind unsere Wünsche erfüllt worden. Sie haben gerne von verantworteter Elternschaft gesprochen und haben das in dem Konzilsdokument Gaudium et spes [Vgl. Gaudium et spes, Nr. 50, Abs. 2] so erkannt. Allerdings mussten sie dann 1968 durch die Veröffentlichung von Humanae Vitae sehen, dass sie das Konzilsdokument doch etwas zu frei interpretiert haben. Da kam ja dann das Nein zu künstlicher Empfängnisverhütung, und das war für viele Laien, auch Frauen, ein Schock. Was heute auch noch aussteht, ist die Frage der Diakoninnen. Die wird tatsächlich schon sehr häufig in diesen Konzilspetitionen genannt.”
Dorniges Thema Diakonat und Weihe
Pope: Einige wollten beim Konzil ja auch direkt für die Priesterweihe der Frau eintreten.
Regina Heyder: ?Das stimmt. Zum Beispiel Josefa Theresia Münch, die immer gesagt hat: Die heilige Weihe empfängt gültig nur ein getaufter Mann, das ist die Vorschrift des Kirchenrechts [vgl. CIC/1983, Kanon 1024]. Die ist so zu verstehen, dass es hier um das Adjektiv ,getauft´ geht. Man könne an den alten Texten aus dem Mittelalter sehen, dass sich die Theologen mit der Frage beschäftigen: Was passiert denn, wenn versehentlich ein ungetaufter Mann zum Priester geweiht worden ist? Sie hat sich für eine Änderung eingesetzt, und das Interessante ist, dass sie in ihren Anliegen immer wieder positive Reaktionen erhalten hat. Bischöfe schreiben ihr, ,wir wären auch dafür´, Kardinal Bea schreibt ihr insgesamt für ihre Kirchenrechtseingabe: ,Ich gratuliere Ihnen. Bitte äußern Sie noch mehr Vorschläge´. Es gibt selten ein direktes Nein. Das Nein kommt eigentlich vor allem im Osservatore Romano 1965.”
Pope: In welcher Form?
Regina Heyder: ?Da gibt es eine dreiteilige Artikelserie, wo ein Franziskaner schreibt, warum es nicht geht, dass Frauen zu Priestern geweiht werden. Das Interessante ist aber, dass er selbst nochmal bestätigt, dass es diese Diskussionen zu dem Zeitpunkt tatsächlich gibt. Er sagt nämlich, einige Konzilstheologen, selbst hochqualifizierte, hätten in den Chor der Frauen eingestimmt und diese Forderung vertreten. Man kann also sehen, dass die Konzilsatmosphäre da nicht so ablehnend war, wie wir uns das heute vielleicht vorstellen würden.”
Pope: In Ihrem 700 Seiten starken Werk sind 190 Dokumente publiziert, die meisten aus Archiven. Was sind im Großen und Ganzen die überraschendsten Befunde, die Sie bei dieser Recherche angetroffen haben?
Regina Heyder: ?Am Überraschendsten fand ich zunächst einmal, wie die Petitionen von den Konzilskommissionen selbst studiert worden sind, wie man sie weitergereicht hat, wie intensiv man die bearbeitet hat, also, dass Frauen in ihren Anliegen damals so ernstgenommen wurden. Dann war es für mich überraschend zu sehen, wie eng die Netzwerke von diesen Frauen damals sind, mit welchen Bischöfen, Kardinälen und Theologen sie zusammenarbeiten, dass sie dabei sehr in ihren Anliegen unterstützt werden. Was ich auch überraschend fand: Es gibt immer wieder Bischöfe, die sagen: Ich bin zwar nicht Ihrer Meinung, aber dennoch werde ich im Konzil dieses Anliegen einfach einmal nennen. Konzilsbeschlüsse sind ja auch nicht deshalb zustande gekommen, weil ein einzelner Theologe oder Bischof etwas vorgebracht hat, sondern weil sie insgesamt plausibel waren, weil sich viele für ein Anliegen gewinnen ließen und diese Atmosphäre des Suchens nach Antworten, nach neuen Wegen, die spiegelt sich eben auch in der Zusammenarbeit von Frauen und Bischöfen oder Konzilstheologen.”
Katholikinnen und das Zweite Vatikanische Konzil: Petitionen, Berichte, Fotografien. Regina Heyder und Gisela Muschiol, Aschendorff 2018. Eine zweite Auflage ist in Vorbereitung.
(vatican news )
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