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Missbrauch. Symbolbild Missbrauch. Symbolbild 

Vatikan: Ein Missbrauchsopfer erzählt

Sie war elf Jahre alt, als ein Priester aus ihrer Pfarrei sie zum ersten Mal vergewaltigte. 40 Jahre später fand sie den Mut, den Missbrauch anzuzeigen. Was ihr half und was nicht, davon legte die Missbrauchsüberlebende am Freitagabend vor dem Plenum beim Kinderschutzgipfel im Vatikan ihr Zeugnis ab.

Sie hätte gerne erzählt, wie sie als Kind gewesen war, aber das sei zwecklos, weil der Priester ihr das Leben zerstört hat, begann die Frau ihren erschütternden Bericht, in deren Verlauf sie immer wieder um Fassung rang. Seit dem ersten Tag ihres Missbrauchs habe sie „nicht mehr existiert“. Fünf Jahre lang habe der Priester sich immer wieder an ihr vergangen, niemand habe es bemerkt. Jede Vergewaltigung: ein Schock, der sich in ihre Augen, Ohren, in die Nase, den Körper und Seele einbrannte. „Ich betäubte mich selbst, hielt die Luft an, entfernte mich aus meinem Körper, suchte verzweifelt mit den Augen nach einem Fenster, um hinauszuschauen und wartete darauf, dass es vorüberging. Ich dachte: ,Wenn ich mich nicht bewege, fühle ich vielleicht nichts; wenn ich nicht atme, kann ich vielleicht sterben.“

„Diese Gedanken sind die größten Wunden, die der Missbrauch und der Täter in deinem Herzen zurücklassen“

Die Frau berichtete davon, wie sie dachte, es sei ihre Schuld, oder sie habe dieses Übel verdient. „Diese Gedanken sind die größten Wunden, die der Missbrauch und der Täter in deinem Herzen zurücklassen“, sagte die Überlebende. Sie habe sich als wertlos empfunden, an Selbstmord gedacht, Essstörungen entwickelt. Als sie sich als Teenager zum ersten Mal verliebte, habe sie „den Schmerz, den Ekel, die Verwirrung, die Angst, die Scham, die Ohnmacht“ des Erlebten verdrängt, sich selbst emotional abgeschirmt, „was enorme Schäden in mir angerichtet hat“. Mit 26 brachte sie ihr erstes Kind zur Welt. Überfallsartig kam die Erinnerung wieder hoch, sie vertraute sich ihrem Mann an, der aber dann ihre Erlebnisse im Prozess der Trennung gegen sie benutzte, um ihr das Fürsorgerecht aberkennen zu lassen, weil sie „eine unwürdige Mutter“ sei. Schließlich schrieb sie dem Priester, der sie fünf Jahre lang vergewaltigt hatte, einen Brief „mit dem Versprechen, ihm niemals wieder die Macht meines Schweigens zu lassen“.

„Wie konnten dieselben Hände, die mich missbraucht hatten, die Eucharistie segnen und darbringen?“

Auch über ihre spirituellen Fragen berichtete die Missbrauchsüberlebende. Sie habe viel über der Frage geweint, wo Gott gewesen sei. „Ich hatte kein Vertrauen mehr in den Menschen und in Gott, in den guten Vater, der die Kleinen und Schwachen schützt. Ich war ein kleines Mädchen, ich war mir sicher, dass von einem Mann, der nach Gott ,duftete´, nichts Schlechtes kommen konnte! Wie konnten dieselben Hände, die mich missbraucht hatten, die Eucharistie segnen und darbringen? Er war erwachsen und ich ein Kind.... er hatte nicht nur seine Rolle ausgenutzt, sondern seine Macht: ein echter Missbrauch des Glaubens.“

Was den Schmerz eines Opfers noch weiter vergrößere, sei ein unangemessener Umgang mit dem Missbrauch, fuhr die Frau unter sichtlichen Schwierigkeiten fort. Sie bezeichnete es als „Missbrauch unserer menschlichen Würde, unseres Gewissens, unseres Glaubens“, wenn ein solches Verbrechen „kleingeredet, versteckt, zum Schweigen gebracht“ werde, und wenn die Verantwortlichen einen Täter einfach weiterversetzten.

„Hohe emotionale Kosten"

Sie selbst habe erst nach 40 Jahren die Kraft gefunden, den Missbrauch anzuzeigen. Dabei habe sie entdeckt, dass ein solcher „Akt der Wahrheit“ auch dem Täter eine Chance gebe, sagte die Frau. Der Anklageprozess sei für sie allerdings mit „hohen emotionalen Kosten“ verbunden gewesen. Sie musste ihre Geschichte vor sechs Männern erzählen, die Priester waren. Die Anwesenheit von Frauen an dieser Stelle wäre aus ihrer Sicht „notwendig und unverzichtbar“, um Opfer anzunehmen und zu begleiten.

Dass die Richter ihr glaubten und der Prozess mit der Verurteilung des Täters endete, löste zwei verschiedene innere Haltungen in ihr aus, sagte die Missbrauchsüberlebende. „Der Teil von mir, der immer hoffte, dass der Missbrauch in Wirklichkeit nie stattgefunden hatte, musste sich der Wahrheit stellen, erhielt aber gleichzeitig eine Besänftigung: Ich weiß jetzt, dass ich etwas Anderes bin, dass ich mehr bin als der Missbrauch und die Narben, die ich trage.“

Wunden verjähren nie

Wunden verjähren nie, sagte die Frau mit Blick auf die Tatsache, dass viele Opfer – so wie sie selbst – erst nach Jahrzehnten den erlittenen Missbrauch anzeigten. Das Opfer sei niemals schuldig an seinem Schweigen. Mehr noch, das Trauma und die erlittenen Schäden nähmen zu, je länger die Zeit des Schweigens andauere. Sie stehe aber nun hier und rede auch im Namen vieler Opfer, die es versucht, aber nie geschafft hätten, über den Missbrauch zu reden, den sie in der Kirche erfahren hätten. „Von hier aus und mit ihnen im Herzen müssen wir gemeinsam von vorne anfangen.“

(vatican news – gs)

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23. Februar 2019, 12:13