Benedikt XVI.: Warum Jesus auf einem Esel reitet
Sie entstammen einer Predigt auf dem Petersplatz am 9. April 2006. Joseph Ratzinger war von 2005 bis 2013 Papst; er starb am Silvestertag 2022. Den Volltext der Predigt
Gedanken zum Palmsonntag
?Wenn wir Jesus begegnen und dann mit ihm zusammen seinen Weg gehen wollen, müssen wir uns fragen: Was ist das für ein Weg, auf dem er uns führen will? Was erwarten wir von ihm? Was erwartet er von uns?
Um zu verstehen, was am Palmsonntag geschehen ist, und um zu erkennen, was er über jene Stunde hinaus für alle Zeiten bedeutet, erweist sich ein Detail als wichtig, das auch für seine Jünger der Schlüssel zum Verständnis dieses Ereignisses wurde, als sie nach Ostern jene Tage, die von Aufregung gekennzeichnet waren, mit einem neuen Blick noch einmal an sich vorüberziehen ließen. Jesus zieht in die Heilige Stadt ein, auf einem Esel reitend, das heißt auf dem Tier der einfachen, gewöhnlichen Leute vom Land, und noch dazu auf einem Esel, der ihm nicht einmal gehört, sondern den er sich für diese Gelegenheit ausleiht. Er kommt nicht in einer prunkvollen Königskutsche, nicht zu Pferd wie die Großen der Welt, sondern auf einem geliehenen Esel. Johannes berichtet uns, dass die Jünger das im ersten Augenblick nicht verstanden haben. Erst nach Ostern bemerkten sie, dass Jesus, indem er so handelte, die Ankündigungen der Propheten erfüllte; sie verstanden nun, dass sein Tun sich aus dem Wort Gottes herleitete und dass er es zu seiner Erfüllung brachte. Sie erinnerten sich, sagt Johannes, dass beim Propheten Sacharja zu lesen ist: »Fürchte dich nicht, Tochter Zion! Siehe, dein König kommt; er sitzt auf dem Fohlen einer Eselin« (Joh 12,15; vgl. Sach 9,9). Um die Bedeutung der Prophezeiung und damit des Handelns Jesu zu verstehen, müssen wir den ganzen Text im Buch des Propheten Sacharja hören, der so fortfährt: »Ich vernichte die Streitwagen aus Efraim und die Rosse aus Jerusalem, vernichtet wird der Kriegsbogen. Er verkündet für die Völker den Frieden; seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer und vom Eufrat bis an die Enden der Erde« (Sach 9,10). Damit sagt der Prophet drei Dinge über den künftigen König.
Als erstes sagt er, dass er der König der Armen sein wird, ein Armer unter den Armen und für die Armen. Die Armut wird in diesem Fall im Sinn der anawim Israels verstanden, jener gläubigen und demütigen Seelen, die wir in der Nähe Jesu antreffen – aus der Perspektive der ersten Seligpreisung der Bergpredigt… Die Armut im Sinne Jesu – und im Sinne der Propheten – setzt vor allem die innere Freiheit von der Gier nach Besitz und Macht voraus… Dem König, der uns den Weg zu diesem Ziel weist – Jesus –, jubeln wir am Palmsonntag zu; ihn bitten wir, uns mit auf seinen Weg zu nehmen.
Als zweites zeigt uns der Prophet, dass dieser König ein König des Friedens sein wird: Er wird die Streitwagen und Schlachtrösser verschwinden lassen, er wird die Bögen zerbrechen und den Frieden verkünden. In der Gestalt Jesu wird das im Zeichen des Kreuzes Wirklichkeit. Das Kreuz ist der zerbrochene Bogen, in gewisser Weise der neue, wahre Regenbogen Gottes, der den Himmel und die Erde miteinander verbindet und eine Brücke über die Abgründe und zwischen den Kontinenten schlägt. Die neue Waffe, die uns Jesus in die Hände gibt, ist das Kreuz – Zeichen der Versöhnung, der Vergebung, Zeichen der Liebe, die stärker ist als der Tod. Jedes Mal, wenn wir uns bekreuzigen, müssen wir uns daran erinnern, der Ungerechtigkeit nicht andere Ungerechtigkeit, der Gewalt nicht andere Gewalt entgegenzusetzen; wir müssen uns daran erinnern, dass wir das Böse nur durch das Gute besiegen können und niemals durch Vergeltung des Bösen mit Bösem.
Die dritte Aussage des Propheten ist die Ankündigung der Universalität. Sacharja sagt, das Reich des Königs des Friedens »reicht von Meer zu Meer … bis an die Enden der Erde«. Die alte, an Abraham und die Väter ergangene Verheißung des Landes wird hier durch eine neue Vision ersetzt: Der Raum des messianischen Königs ist nicht mehr ein bestimmtes Land, das sich notwendigerweise von den anderen trennen und dann unvermeidlich auch gegen andere Länder Stellung beziehen würde. Sein Land ist die Erde, die ganze Welt. Indem er jede Abgrenzung überwindet, schafft er in der Mannigfaltigkeit der Kulturen Einheit… Er kommt überall, in alle Kulturen und in alle Teile der Welt, in die ärmlichen Hütten und notleidenden ländlichen Gebiete ebenso wie in die Pracht der Kathedralen…
Alle drei vom Propheten verkündeten Wesensmerkmale – Armut, Friede, Universalität – werden im Zeichen des Kreuzes zusammengefasst… Der Palmsonntag sagt uns, dass das wahre, große »Ja« gerade das Kreuz ist, dass gerade das Kreuz der wahre Baum des Lebens ist. Wir finden das Leben nicht dadurch, dass wir uns seiner bemächtigen, sondern indem wir es schenken. Die Liebe ist ein Sich-selbst-Verschenken, und deshalb ist sie der Weg des wahren Lebens, der durch das Kreuz symbolisiert wird.
(vatican news – sk)
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