Wortlaut: Papst an Politik und Zivilgesellschaft in Bahrain
Majestät,
Königliche Hoheiten,
hochverehrte Mitglieder des Parlaments, der Regierung und des diplomatischen Korps,
sehr geehrte religiöse und zivile Autoritäten,
meine Damen und Herren,
As-salamu alaikum!
Ich danke Ihrer Majestät von Herzen für die freundliche Einladung, das Königreich Bahrain zu besuchen, für die herzliche und großzügige Begrüßung und für die Worte des Willkommens, die Sie mir zugedacht haben. Ich grüße jeden von Ihnen herzlich. Ich möchte mich freundschaftlich und herzlich an alle wenden, die in diesem Land leben: an jeden Gläubigen, jeden Menschen und jede Familie, die die bahrainische Verfassung als ?Eckpfeiler der Gesellschaft“ bezeichnet. Ich drücke Ihnen allen meine Freude darüber aus, unter Ihnen zu sein.
Hier, wo das Wasser des Meeres den Wüstensand umgibt und mächtige Wolkenkratzer traditionelle orientalische Märkte flankieren, treffen entfernte Welten aufeinander: Antikes und Modernes kommen zusammen, Geschichte und Fortschritt verschmelzen; vor allem aber bilden Menschen unterschiedlicher Herkunft ein originelles Lebensmosaik. Bei den Vorbereitungen für diese Reise habe ich ein ?Sinnbild der Vitalität“ kennengelernt, das dieses Land charakterisiert. Ich spreche von dem so genannten ?Baum des Lebens“ (Shajarat-al-Hayat), von dem ich mich inspirieren lassen möchte, um einige Gedanken mit Ihnen zu teilen. Es handelt sich um einen majestätischen Akazienbaum, der seit Jahrhunderten in einem Wüstengebiet überlebt, wo es kaum regnet. Es scheint unmöglich, dass ein so langlebiger Baum unter solchen Bedingungen überleben und gedeihen kann. Viele meinen, das Geheimnis liege in den Wurzeln, die sich Dutzende von Metern unter dem Erdboden erstrecken und von unterirdischen Wasservorkommen zehren.
Die Wurzeln also: Das Königreich Bahrain setzt sich für die Erforschung und Erschließung seiner Vergangenheit ein, die von einem sehr alten Land erzählt, in das schon vor Tausenden von Jahren Völker strömten, angezogen von seiner Schönheit, die insbesondere von den reichlich vorhandenen Süßwasserquellen herrührt, die ihm den Ruf einbrachten ein Paradies zu sein: Das antike Königreich Dilmun wurde das ?Land der Lebenden“ genannt. Wenn wir die Wurzeln der Zeit zurückverfolgen – seit immerhin 4.500 Jahren leben dort ununterbrochen Menschen – wird deutlich, wie die geografische Lage Bahrains, die kaufmännische Neigung und Begabung seiner Bewohner sowie bestimmte historische Ereignisse Bahrain die Möglichkeit gegeben haben, sich zu einem Knotenpunkt der gegenseitigen Bereicherung zwischen den Völkern zu entwickeln. Ein Aspekt dieses Landes tritt also besonders hervor: Es war immer ein Ort der Begegnung zwischen verschiedenen Völkern.
Dies ist das lebensspendende Wasser, aus dem die Wurzeln Bahrains noch heute schöpfen, dessen größter Reichtum in seiner ethnischen und kulturellen Vielfalt, dem friedlichen Zusammenleben und der traditionellen Gastfreundschaft seiner Bevölkerung liegt. Eine Vielfalt, die nicht vereinheitlichend, sondern inklusiv ist, ist der Schatz eines jeden wirklich entwickelten Landes. Und auf diesen Inseln bewundern wir eine vielfältige multiethnische und multireligiöse Gesellschaft, die in der Lage ist, die Gefahr der Isolation zu überwinden. Das ist so wichtig in unserer Zeit, in der eine exklusive Bezogenheit auf sich selbst und die eigenen Interessen verhindert, die unverzichtbare Bedeutung des Miteinanders zu begreifen. Stattdessen bezeugen die vielen nationalen, ethnischen und religiösen Gruppen, die hier koexistieren, dass man in unserer Welt zusammenleben kann und muss; in einer Welt, die seit Jahrzehnten zu einem globalen Dorf geworden ist, in dem – die Globalisierung als selbstverständlich vorausgesetzt – ?die Gesinnung des Dorfes“ in vielerlei Hinsicht noch unbekannt ist: die Gastfreundschaft, die Suche nach dem anderen, Geschwisterlichkeit. Wir erleben im Gegenteil mit Besorgnis, dass Gleichgültigkeit und gegenseitiges Misstrauen in großem Umfang zunehmen, dass Rivalitäten und Gegensätze, die man überwunden zu haben hoffte, sich ausweiten und dass Populismus, Extremismus und Imperialismus die Sicherheit aller gefährden. Trotz des Fortschritts und vieler ziviler und wissenschaftlicher Errungenschaften nimmt die kulturelle Entfernung zwischen den verschiedenen Teilen der Welt zu, und den wohltuenden Möglichkeiten der Begegnung werden unheilvolle Haltungen der Konfrontation vorgezogen.
Lasst uns stattdessen an den Baum des Lebens denken und in den trockenen Wüsten des menschlichen Zusammenlebens das Wasser der Geschwisterlichkeit verteilen: Lassen wir nicht zu, dass die Möglichkeit von Begegnungen zwischen Zivilisationen, Religionen und Kulturen verdunstet, lassen wir nicht zu, dass die Wurzeln des Menschlichen verdorren! Lasst uns zusammenarbeiten, lasst uns für das Miteinander arbeiten, für die Hoffnung! Ich bin hier, im Land des Lebensbaumes, als Sämann des Friedens, um Tage der Begegnung zu erleben, um an einem Dialogforum zwischen dem Osten und dem Westen für ein friedliches menschliches Zusammenleben teilzunehmen. Ich danke jetzt schon meinen Weggefährten, insbesondere den Religionsvertretern. Diese Tage markieren eine wertvolle Etappe auf dem Weg der Freundschaft, der sich in den letzten Jahren mit verschiedenen islamischen Religionsführern intensiviert hat: es ist ein geschwisterlicher Weg, der unter dem Blick des Himmels dem Frieden auf der Erde dienen will.
In dieser Hinsicht drücke ich meine Wertschätzung für die internationalen Konferenzen und Begegnungsmöglichkeiten aus, die dieses Königreich organisiert und fördert, indem es insbesondere Respekt, Toleranz und Religionsfreiheit thematisiert. Dies sind wesentliche Themen, die von der Verfassung des Landes anerkannt werden, in der es heißt, dass »es keinerlei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Herkunft, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung geben darf« (Artikel 18), dass »die Gewissensfreiheit absolut ist« und dass »der Staat die Unverletzlichkeit der Religionsausübung schützt« (Artikel 22). Es handelt sich vor allem um Verpflichtungen, die beständig in die Praxis umzusetzen sind, damit die Religionsfreiheit umfassend wird und sich nicht auf die Freiheit der Religionsausübung beschränkt; damit gleiche Würde und gleiche Chancen für jede Gruppe und jeden Menschen konkret anerkannt werden; damit es keine Diskriminierung gibt und die grundlegenden Menschenrechte nicht verletzt, sondern befördert werden. Ich denke insbesondere an das Recht auf Leben, an die Notwendigkeit, es immer zu garantieren, auch im Hinblick auf diejenigen, die bestraft werden und deren Leben nicht beseitigt werden kann.
Kehren wir zum Baum des Lebens zurück. Im Laufe der Zeit haben die vielen unterschiedlich großen Äste ein dichtes Blätterdach gebildet und seine Höhe und Breite vergrößert. In diesem Land ist es gerade der Beitrag so vieler Menschen aus verschiedenen Völkern gewesen, der eine bemerkenswerte wirtschaftliche Entwicklung erlaubte. Dies ist durch die Einwanderung möglich geworden, bezüglich der das Königreich Bahrain eine der höchsten Quoten der Welt aufweist: Etwa die Hälfte der ansässigen Bevölkerung ist ausländischer Herkunft und arbeitet maßgeblich an der Entwicklung eines Landes, in dem sie sich, obwohl sie ihre Heimat verlassen haben, zu Hause fühlen. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass es in unserer Zeit immer noch zu viel Mangel an Arbeitsplätzen und zu viel entmenschlichende Arbeit gibt: Dies birgt nicht nur große Gefahren sozialer Instabilität, sondern stellt auch einen Angriff auf die Menschenwürde dar. Arbeit ist nämlich nicht nur notwendig, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen, sondern sie ist ein Recht, das unabdingbar ist, um ich selbst voll entfalten und eine Gesellschaft nach menschlichen Maßstäben gestalten zu können.
Von diesem Land aus, das wegen seiner Beschäftigungsmöglichkeiten attraktiv ist, möchte ich an die weltweite Beschäftigungskrise erinnern: Oft fehlt es an Arbeit, die so kostbar ist wie Brot; oft ist sie vergiftetes Brot, weil sie versklavt. In beiden Fällen steht der Mensch nicht mehr im Mittelpunkt. Er wird vom unantastbaren und unverletzlichen Zweck der Arbeit auf ein Mittel zum Geldmachen reduziert. Deshalb müssen überall garantierte und menschenwürdige Arbeitsbedingungen gewährleistet werden, die das kulturelle und geistige Leben nicht behindern, sondern fördern; die den sozialen Zusammenhalt begünstigen, zugunsten des Zusammenlebens und der Entwicklung der Länder selbst (vgl. Gaudium et spes, 9.27.60.67).
Bahrain hat in dieser Hinsicht wertvolle Errungenschaften vorzuweisen: Ich denke zum Beispiel an die erste Mädchenschule, die am Golf gegründet wurde, und an die Abschaffung der Sklaverei. Möge Bahrein ein Leuchtturm sein, wenn es darum geht, faire und immer bessere Rechte und Bedingungen für Arbeitnehmer, Frauen und junge Menschen in der gesamten Region zu fördern und gleichzeitig Respekt und Aufmerksamkeit für diejenigen zu garantieren, die sich besonders am Rande der Gesellschaft fühlen, wie Migranten und Gefangene: eine wahre, menschliche und ganzheitliche Entwicklung lässt sich vor allem an der Aufmerksamkeit ihnen gegenüber ablesen.
Der Baum des Lebens, der sich einsam in der Wüstenlandschaft erhebt, erinnert mich noch an zwei Bereiche, die für alle entscheidend sind und die vor allem diejenigen angehen, die als Regierende die Verantwortung haben, dem Gemeinwohl zu dienen. Erstens die Umweltproblematik: Wie viele Bäume werden abgeholzt, wie viele Ökosysteme zerstört, wie viele Meere durch die unersättliche Gier des Menschen verschmutzt, was dann schließlich wieder auf ihn zurückfällt! Lasst uns nicht müde werden, uns in dieser dramatischen und dringlichen Angelegenheit einzusetzen, indem wir konkrete und weitsichtige Entscheidungen treffen, mit Blick auf die junge Generation, bevor es zu spät ist und ihre Zukunft beeinträchtigt wird! Möge die Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP27), die in wenigen Tagen in Ägypten stattfindet, ein Schritt vorwärts in dieser Hinsicht sein!
Des Weiteren erinnert mich der Baum des Lebens mit seinen Wurzeln, die das lebenswichtige Wasser aus dem Erdboden zum Stamm leiten, und von diesem zu den Zweigen und dann zu den Blättern, die den Lebewesen Sauerstoff geben, an die Berufung des Menschen, eines jeden Menschen auf der Erde: das Leben gedeihen zu lassen. Heute hingegen erleben wir, jeden Tag mehr, tödliche Handlungen und Bedrohungen. Ich denke dabei vor allem an die monströse und sinnlose Realität des Krieges, der überall Zerstörung sät und die Hoffnung entwurzelt. Im Krieg kommt die schlimmste Seite des Menschen zum Vorschein: Egoismus, Gewalt und Lüge. Ja, denn Krieg, jeder Krieg, bedeutet auch den Tod der Wahrheit. Wenden wir uns gegen die Logik der Waffen und schlagen wir die entgegengesetzte Richtung ein, indem wir die enormen Militärausgaben in Investitionen für die Bekämpfung von Hunger, mangelnder Gesundheitsversorgung und mangelnder Bildung umwandeln. Die vielen Konfliktsituationen schmerzen mich zutiefst. Mit Blick auf die Arabische Halbinsel, deren Länder ich mit Herzlichkeit und Respekt grüßen möchte, denke ich insbesondere betrübt an den Jemen, der von einem vergessenen Krieg gequält wird, der, wie jeder Krieg, zu keinem Sieg, sondern nur zu schmerzhaften Niederlagen für alle führt. Ich bete vor allem für die Zivilbevölkerung, die Kinder, die alten Menschen, die Kranken, und ich flehe: Mögen die Waffen schweigen, setzen wir uns überall und wirklich für den Frieden ein!
Eine Erklärung des Königreichs Bahrain erkennt in diesem Zusammenhang an, dass der religiöse Glaube »ein Segen für die gesamte Menschheit« und die Grundlage »für den Frieden in der Welt« ist. Ich bin als Gläubiger hier, als Christ, als Mensch und Pilger des Friedens, weil wir heute wie nie zuvor überall aufgerufen sind, uns ernsthaft für den Frieden einzusetzen. Majestät, Königliche Hoheiten, Autoritäten, Freunde, ich mache mir daher eine schöne Passage aus eben dieser Erklärung zu eigen und teile sie mit Euch als Wunsch für diese ersehnten Besuchstage im Königreich Bahrain: »Wir verpflichten uns, für eine Welt einzutreten, in der sich die Menschen aufrichtigen Glaubens zusammenschließen, um dem Trennenden zu widersagen und stattdessen das zu suchen, was uns eint.«
So sei es, mit dem Segen des Allerhöchsten!
Shukran! [Danke!]
(vatican news)
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