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Der Angehörige eines Indianerstammes tanzt während der Papstaudienz Der Angehörige eines Indianerstammes tanzt während der Papstaudienz

Und das Vaterunser in der Sprache der Inuit

Sie repräsentieren die Völker, die immer schon auf dem Gebiet des heutigen Kanada gelebt haben: First Nations, Inuit, Métis. Seit Montag führte eine Gruppe von ihnen Gespräche im Vatikan. An diesem Freitag nun empfing sie Papst Franziskus, der die drei Gruppen im Lauf der Woche schon einzeln getroffen hat.


Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Eine ungewöhnliche Audienz. Nicht nur deshalb, weil Vertreter der Ureinwohner in Anwesenheit des Papstes in ihrer jeweils eigenen Sprache beteten. So wurde etwa das Vaterunser auf Inuktitut gesungen, der Sprache der Inuit – das sind Eskimos, die im arktischen Teil Kanadas leben. Ungewöhnlich ist aber vor allem der „Weg zu Heilung und Versöhnung“, den die ursprünglichen Volksgruppen Kanadas eingeschlagen haben.

„Weg zu Heilung und Versöhnung“

Gemeinsam mit den Spitzenvertretern der katholischen Kirche (in Kanada und im Vatikan) arbeiten die autochthonen Völker eine jahrhundertelange Geschichte von Umerziehung, Unterdrückung, Diskriminierung und Missachtung auf, die sich unter anderem mit so genannten „residential schools“ verbindet. Das waren Schulen und Internate, meist in kirchlicher Trägerschaft, in denen junge Angehörige der ursprünglichen Völker in staatlichem Auftrag umerzogen wurden. Nicht selten kam es dabei zu Gewalt und Missbrauch.

Entsetzen über Kindergräber an â€žresidential schools“

Es war in den letzten Jahren das Auffinden von unmarkierten Kindergräbern auf dem Gelände früherer „residential schools“, das weit über Kanada hinaus Entsetzen hervorrief. Und das dafür sorgte, dass sich die kanadischen Indigenen und die Kirche auf den – von der Corona-Pandemie verzögerten – „Weg zu Heilung und Versöhnung“ gemacht haben.

Unter sich sind die drei Gruppen, die an diesem Freitag Repräsentanten im Vatikan aufboten, recht unterschiedlich: Die Inuit sind Eskimos, die Métis Nachfahren von europäischen Händlern, die Ehen mit Indianerinnen eingingen. Unter den Begriff „First Nations“ werden die übrigen Volksgruppen gefasst, vor allem Indianer aus den 617 offiziell anerkannten Stämmen. Gemeinsam haben alle diese Gruppen die Erfahrung zwangsweiser Entfremdung von ihren kulturellen Wurzeln durch die Einwanderergesellschaft.

Zum Nachhören: Papst bittet Kanadas Indigene um Vergebung und kündigt Besuch an - ein Bericht von Pope

Trommeln und Geigen - aber keine Folklore

Wer will, der mag das, was an diesem Freitag im Vatikan geschah, mit der Rehabilitierung Galileo Galileis durch Papst Johannes Paul II. vor einem Vierteljahrhundert vergleichen. Jedenfalls wehte der Mantel der Geschichte durch die „Sala Clementina“ im Apostolischen Palast.

Zwei Métis spielten unter den Fresken aus dem 16. Jahrhundert Geige; ein Inuit trommelte, ein Vertreter der „First Nations“ mit Federschmuck führte einen Tanz auf. Das war mehr als Folklore: „Kultureller Ausdruck“ hieß das im Programm der Audienz, und dafür war mehr Zeit angesetzt als sogar für die Ansprache des Papstes. Immer wieder haben Opfer der „residential schools“ davon gesprochen, wie traumatisch sie die Unterdrückung ihrer Sprache, ihrer kulturellen und spirituellen Ausdrucksformen erlebt haben. Es war eine Art Rehabilitierung, dass ihrer Kultur nun mitten im Vatikan, dem Herzen der Weltkirche, Raum und Zeit gegeben wurde.

„Umso stärker aber ist unser Verlangen nach Versöhnung!“

„Wir alle wissen, dass unsere jüngste Geschichte von Versagen im Bereich der Nächstenliebe gekennzeichnet ist, vor allem den Angehörigen der Nationen gegenüber, die seit Jahrhunderten in Kanada präsent sind.“ Das sagte Bischof Raymond Poisson, der Vorsitzende der kanadischen Bischofskonferenz, in einer kurzen Rede zu Beginn der Audienz. „Umso stärker aber ist unser Verlangen nach Versöhnung! Unsere Präsenz hier legt davon Zeugnis ab, dass wir künftig füreinander einstehen wollen.“

„Alles bereit zum Kofferpacken für Papstreise“

Poisson dankte dem Papst dafür, dass er sich auf den Aussöhnungsprozess mit den kanadischen Indigenen eingelassen hat. Zu dem Prozess wird auch eine Reise von Franziskus nach Kanada gehören, wie dieser selbst am Freitag noch einmal bekräftigte. Als Termin sprach er in freier Rede vom Fest der heiligen Anna, der Großmutter Jesu - das wäre der 26. Juli. Bischof Poisson scherzte, es sei schon „alles bereit zum Kofferpacken“.

Vor allem aber ging es dem Papst darum, „Scham, Trauer und Schande“ über die Rolle, die Kirchenleute im Lauf der Geschichte bei der Diskriminierung und Entfremdung von Indigenen gespielt haben, laut werden zu lassen. „Ihre Identität und Ihre Kultur wurden verletzt, viele Familien wurden getrennt, viele Kinder wurden Opfer“, sagte der lateinamerikanische Papst an seine Zuhörer gewandt.

„Scham, Trauer und Schande“

„Es ist erschreckend, wenn man sieht, wie daran gearbeitet wurde, Menschen ein Gefühl der Minderwertigkeit einzuflößen, ihnen ihre kulturelle Identität zu nehmen, ihre Wurzeln zu kappen, mit all den persönlichen und sozialen Folgen, die dies mit sich brachte und bringt: unbewältigte Traumata, die zu Traumata zwischen den Generationen wurden.“

Inuit, Métis und „First Nations“ hätten „Missbrauch und Missachtung ihrer Identität, ihrer Kultur und sogar ihrer geistigen Werte“ erleben müssen. All dies stehe im Widerspruch zum Evangelium Jesu.

Bitte um Vergebung

„Für das beklagenswerte Verhalten dieser Mitglieder der katholischen Kirche bitte ich Gott um Vergebung und ich möchte Ihnen von Herzen sagen: Es tut mir sehr leid. Und ich schließe mich meinen Brüdern, den Bischöfen Kanadas, an und bitte Sie um Entschuldigung. Es liegt auf der Hand, dass man die Inhalte des Glaubens nicht auf eine Weise vermitteln kann, die dem Glauben selbst fremd ist: Jesus hat uns gelehrt, aufzunehmen, zu lieben, zu dienen und nicht zu richten; es ist schrecklich, wenn man gerade im Namen des Glaubens ein Gegenzeugnis zum Evangelium ablegt.“

Franziskus lobte – wie schon in seiner Enzyklika ‚Laudato si‘ und in seinem Apostolischen Schreiben ‚Querida Amazonia‘ – die Weisheit indigener Völker, ihren Lebenszyklus im Einklang mit der Natur, ihren Familien- und Gemeinschaftssinn. Der Reichtum ihrer Kulturen und Traditionen sei „ein Erbe, das nicht nur Ihnen, sondern der ganzen Menschheit gehört“.

(vatican news)

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01. April 2022, 12:57