Wortlaut: Katechese von Papst Franziskus bei seiner Generalaudienz
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Liebe Brüder und Schwestern, guten Morgen!
In den biblischen Berichten über die Ahnenreihe der Vorfahren fällt uns sofort ihre enorme Langlebigkeit auf: Wir sprechen von Jahrhunderten! Wann beginnt hier das Alter? Und welche Bedeutung hat die Tatsache, dass diese alten Vorväter so lange leben, nachdem sie ihre Kinder gezeugt haben? Eltern und Nachkommen leben zusammen, über Jahrhunderte! Dieser weltliche Rhythmus der Zeit, der im rituellen Stil erzählt wird, verleiht der Beziehung zwischen Langlebigkeit und Ahnenreihe eine tiefe, sehr tiefe symbolische Bedeutung.
Es ist, als ob die Weitergabe des menschlichen Lebens, das im geschaffenen Universum so neu ist, eine langsame und anhaltende Initiation erfordert. Alles ist neu, am Anfang der Geschichte eines Geschöpfes, das Geist und Leben, Bewusstsein und Freiheit, Sensibilität und Verantwortung ist. Das neue Leben - das menschliche Leben -, das in der Spannung zwischen seinem Ursprung "nach dem Bild und Gleichnis" Gottes und der Zerbrechlichkeit seines sterblichen Zustands steht, stellt eine Neuheit dar, die es zu entdecken gilt. Es erfordert eine lange Zeit der Initiation, in der die gegenseitige Unterstützung zwischen den Generationen unerlässlich ist, um Erfahrungen zu entschlüsseln und sich den Rätseln des Lebens zu stellen. Während dieser langen Zeit bildet sich auch die geistige Beschaffenheit des Menschen langsam heraus.
In gewissem Sinn bringt uns jede neue Epoche der Menschheitsgeschichte dieses Gefühl zurück: Es ist, als müssten wir unsere Fragen nach dem Sinn des Lebens in aller Ruhe neu stellen, wenn das Szenario des menschlichen Daseins mit neuen Erfahrungen und neuen Fragen überladen erscheint. Sicherlich erhöht die Anhäufung des kulturellen Gedächtnisses die Vertrautheit, die notwendig ist, um mit neuen Gegebenheiten umzugehen. Die Übertragungszeiten sind kürzer, aber die Anpassungszeiten erfordern immer Geduld. Das Übermaß an Geschwindigkeit, das heute alle Phasen unseres Lebens beherrscht, macht jede Erfahrung oberflächlicher und weniger "nahrhaft". Junge Menschen sind unbewusste Opfer dieser Spaltung zwischen der Zeit der Uhr, die herumgebracht werden will, und der Zeit des Lebens, die einen richtigen "Sauerteig" erfordert. Ein langes Leben ermöglicht es, diese langsamen Zeiten und den Schaden der Hektik zu begreifen.
Das Alter bringt sicherlich einen langsameren Rhythmus mit sich, aber es sind nicht nur Zeiten der Trägheit. Das Maß dieser Rhythmen eröffnet in Wirklichkeit für jeden Menschen Sinnräume im Leben, die der Geschwindigkeitssucht unbekannt sind. Diese Sinnräume schließen sich für alle, wenn wir den Kontakt zu den langsamen Rhythmen des Alters verlieren. In diesem Zusammenhang habe ich den Wunsch geäußert, den Tag der Großeltern einzurichten und auf den letzten Sonntag im Juli zu legen. Das Bündnis zwischen den beiden äußeren Generationen des Lebens - den Kindern und den älteren Menschen - hilft auch den beiden anderen, den Jugendlichen und den Erwachsenen, sich miteinander zu verbinden, um das Leben aller menschlicher zu machen.
Wir brauchen Dialog zwischen den Generationen! Wenn es keinen Dialog zwischen Jung und Alt gibt, bleibt jede Generation isoliert für sich und kann die Botschaft nicht weitergeben. Stellen wir uns vor: Ein junger Mensch, der keine Verbindung zu seinen Wurzeln - nämlich seinen Großeltern - hat, erhält nicht die Kraft der Wurzel, wie ein Baum das tut. Er wächst schlecht auf, krank, ohne Bezugspunkt. Wir brauchen den Dialog zwischen den Generationen, das ist eine menschliche Notwendigkeit! Und dieser Dialog ist speziell zwischen Großeltern und Enkelkindern wichtig, zwischen den beiden äußeren Enden...
Stellen wir uns eine Stadt vor, in der das Zusammenleben verschiedener Altersgruppen ein fester Bestandteil der Gesamtgestaltung ihres Lebensraums ist. Denken wir an die Bildung von liebevollen Beziehungen zwischen Alter und Jugend, die auf den gesamten Stil der Beziehungen ausstrahlen. Die Überschneidung der Generationen würde dann zu einer Energiequelle für einen wirklich sichtbaren und lebbaren Humanismus. Die moderne Stadt neigt dazu, älteren Menschen gegenüber feindselig zu sein (und nicht zufällig auch gegenüber Kindern). Diese Gesellschaft, die den Geist des Ausschließens hat - sie sortiert viele nichtgewollte Kinder aus, und sie sortiert die Senioren aus. Die nützen ja nichts... ins Altersheim, in die Reha-Klinik...
Die Geschwindigkeit bringt uns in eine Zentrifuge, die uns wegfegt wie Konfetti. Wir verlieren das große Ganze völlig aus den Augen. Jeder klammert sich an sein eigenes kleines Stück, das auf den Strömen der Stadt als Markt schwimmt, einer Stadt, die langsame Rhythmen als Verluste begreift und Geschwindigkeit als Geld. Zu große Geschwindigkeit pulverisiert das Leben, statt es intensiver zu machen. Weisheit hingegen bedeutet, Zeit zu verlieren! Wenn du nach Hause kommst und deine kleine Tochter, deinen kleinen Sohn siehst, verlierst du Zeit (mit ihnen) - aber dieses Gespräch ist grundlegend für die Gesellschaft. Zeit verlieren mit den Kindern! Und wenn du nach Hause kommst, und da sitzt dann die Großmutter oder der Großvater, der vielleicht nicht mehr so ganz scharf denken oder nicht mehr so gut reden kann, und du setzt dich zu ihm, zu ihr, dann verlierst du Zeit - aber dieses Zeitverlieren kräftigt die menschliche Familie. Es ist wichtig, Zeit zu verlieren - Zeit, die keine Rendite bringt - mit den Kindern und mit den alten Leuten. Denn sie geben uns einen anderen Blick auf das Leben.
Die Pandemie, in der wir immer noch leben müssen, hat - leider sehr schmerzhaft - dem stumpfen Kult der Geschwindigkeit Einhalt geboten. Und in dieser Zeit haben die Großeltern als Barriere gegen die emotionale "Austrocknung" der Jüngeren gewirkt. Das sichtbare Bündnis der Generationen, das ihre Zeiten und Rhythmen in Einklang bringt, gibt uns die Hoffnung zurück, dass das Leben nicht vergeblich ist. Und sie gibt uns allen die Liebe zu unserem verletzlichen Leben zurück und versperrt der Geschwindigkeitssucht, die das Leben einfach auffrisst, den Weg.
Das Schlüsselwort hier - ein jeder von euch möge das bedenken: Verstehst du es, Zeit zu verlieren? Oder hast du es ständig eilig - nein, keine Zeit, ich kann nicht... Verstehst du es, Zeit zu verlieren mit den Großeltern, mit den Senioren? Verstehst du es, Zeit zu verlieren beim Spiel mit den Kindern? Das ist der Prüfstein - denkt ein wenig darüber nach! ...
Die Rhythmen des Alters sind eine unverzichtbare Ressource, um den Sinn des von der Zeit geprägten Lebens zu begreifen. Die alten Menschen haben ihren eigenen Rhythmus - aber das ist ein Rhythmus, der uns hilft. Dank dieser Vermittlung wird die Bestimmung des Lebens zur Begegnung mit Gott glaubwürdiger: ein Entwurf, der in der Erschaffung des Menschen "nach seinem Bild und Gleichnis" verborgen ist und in der Menschwerdung des Gottessohnes besiegelt wird.
Heute ist die Lebenserwartung der Menschen höher. Dies gibt uns die Möglichkeit, den Bund zwischen allen Zeiten des Lebens und auch mit dem Sinn des Lebens in seiner Gesamtheit zu stärken. Hohe Lebenserwartung - aber wir müssen den Bund stärken... Der Sinn des Lebens liegt nicht nur im Erwachsenenleben, etwa zwischen 25 und 60 Jahren - nein, der Sinn des Lebens liegt im Ganzen! Von der Geburt bis zum Tod. Und du solltest in der Lage sein, mit allen zu interagieren und zu allen eine Beziehung aufzubauen. So wird deine Reife reicher, stärker sein... Möge der Geist uns die Intelligenz und die Kraft für diese Reform schenken (denn dafür brauchen wir eine Reform): Die Arroganz der Uhrzeit muss in die Schönheit der Lebensrhythmen umgewandelt werden. Das ist die Reform, die wir in unserem Herzen, in der Familie, in der Gesellschaft durchführen sollten. (...) Die Arroganz der Uhrzeit umwandeln in die Schönheit der Lebensrhythmen.
Das Bündnis der Generationen ist unverzichtbar. Eine Gesellschaft, in der die Älteren nicht mit den Jungen sprechen und die Jungen nicht mit den Älteren, und in der die Erwachsenen weder mit den Älteren noch mit den Jungen sprechen, ist steril. Ohne Zukunft. Eine Gesellschaft, die nicht auf den Horizont schaut, sondern nur auf sich selbst. Sie vereinsamt.
Möge Gott uns helfen, die richtige Musik für diese Harmonisierung der Lebensalter zu finden: die Kleinen, die Alten, die Erwachsenen - alle zusammen. Eine schöne Symphonie des Dialogs! Danke.
(vatican news)
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