Papst Franziskus: Angelus am Bibelsonntag im Wortlaut
Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!
Im Evangelium der heutigen Liturgie sehen wir, wie Jesus seine Verkündigung beginnt (vgl. Lk 4,14-21). Es ist die erste Predigt Jesu! Er geht nach Nazaret, wo er aufgewachsen ist, und nimmt am Gebet in der Synagoge teil. Er steht auf, um zu lesen, und findet in der Schriftrolle des Propheten Jesaja den Text über den Messias, der den Armen und Unterdrückten eine Botschaft des Trostes und der Befreiung verkündet (vgl. Jes 61,1-2). Am Ende der Lesung waren ?die Augen aller in der Synagoge … auf ihn gerichtet“ (V. 20). Und Jesus beginnt mit den Worten: ?Heute hat sich das Schriftwort … erfüllt“ (V. 21). Bleiben wir einen Moment bei diesem heute. Es ist das erste Wort der Verkündigung Jesu, das im Lukas-Evangelium aufgezeichnet ist. Vom Herrn ausgesprochen, weist es auf ein ?Heute“ hin, das alle Zeitalter überschreitet und immer gültig bleibt. Das Wort Gottes ist immer heute. Es beginnt ein heute: wenn du das Wort Gottes liest, beginnt in deiner Seele ein heute, wenn du es gut verstehst. Heute. Die Prophezeiung Jesajas liegt Jahrhunderte zurück, aber Jesus, ?erfüllt von der Kraft des Geistes“ (V. 14) macht sie aktuell und bringt sie zur Vollendung und zeigt den Weg auf, wie das Wort Gottes empfangen werden soll. Heute. Nicht wie eine historische Geschichte, nein, heute. ,Heute' spricht zu deinem Herz.
Die Landsleute Jesu sind von seinen Worten beeindruckt. Auch wenn sie ihm, vernebelt durch Vorurteile, nicht glauben, erkennen sie, dass seine Lehre anders ist als die der anderen Lehrer (vgl. V. 22): Sie spüren, dass Jesus mehr zu bieten hat. Was? Das ist die Salbung durch den Heiligen Geist. Manchmal kommt es vor, dass unsere Predigten und unsere Lehren allgemein und abstrakt bleiben, dass sie die Seele und das Leben der Menschen nicht berühren. Warum? Weil ihnen die Kraft dieses heute fehlt, das Jesus durch die Kraft des Geistes ?mit Sinn erfüllt“. Heute spricht er zu dir. Ja, man kann tadellose Konferenzen, gut strukturierte Reden hören, aber sie bewegen das Herz nicht und so bleibt alles beim Alten. Auch, und das sage ich mit Respekt, aber voll Schmerz: viele Predigten bleiben abstrakt, schläfern die Seele ein statt sie aufzuwecken. Wenn die Gläubigen beginnen, auf die Uhr zu schauen (...), dann schläfern sie die Seele ein. Die Verkündigung steht in dieser Gefahr: ohne die Salbung des Geistes verarmt das Wort Gottes, verfällt in Moralismus und abstrakte Begriffe, stellt das Evangelium aus der Distanz dar, als sei es aus der Zeit gefallen, weit weg von der Wirklichkeit. Und das ist nicht der Weg. Aber ein Wort, in dem nicht die Kraft des heute pulsiert, ist Jesu nicht würdig und hilft dem Leben der Menschen nicht. Deshalb sind diejenigen, die predigen, die ersten, die das Heute Jesu erfahren, um es im Heute der anderen weitergeben zu können. Und wenn jemand Schulunterricht und Konferenzen abhalten will, dann kann er das tun, aber woanders, nicht im Moment der Predigt, wo er das Wort so darreichen muss, dass es die Herzen bewegt.
Liebe Brüder und Schwestern, an diesem Sonntag des Wortes Gottes möchte ich allen Predigern und Verkündigern des Evangeliums danken, die dem Wort treu bleiben, das die Herzen bewegt, die dem ,Heute' treu bleiben. Beten wir für sie, dass sie das Heute Jesu leben können, die süße Kraft seines Geistes, die die Heilige Schrift lebendig macht. Das Wort Gottes ist in der Tat lebendig und wirksam (vgl. Hebr 4,12), es verändert uns, es dringt in unsere Angelegenheiten ein, es erhellt unseren Alltag, es tröstet und bringt in Ordnung. Denken wir daran: Das Wort Gottes verwandelt jeden gewöhnlichen Tag in das Heute, in dem Gott zu uns spricht. Nehmen wir also das Evangelium in die Hand, jeden Tag einen kleinen Abschnitt, den wir lesen und wieder lesen. Tragt in der Tasche ein Evangelium, um es auf der Reise zu lesen, in jedem Moment und in aller Ruhe. Mit der Zeit werden wir entdecken, dass diese Worte speziell für uns, für unser Leben gemacht sind. Sie werden uns helfen, jeden Tag mit einer besseren und gelasseneren Einstellung zu begrüßen, denn wenn das Evangelium in das Heute eintritt, wird es mit Gott erfüllt. Ich möchte Euch und Ihnen einen Vorschlag unterbreiten. An den Sonntagen dieses liturgischen Jahres wird das Lukas-Evangelium, das Evangelium der Barmherzigkeit, verkündet. Warum lesen wir es nicht auch persönlich, alles, jeden Tag einen kleinen Abschnitt? Ein kleiner Schritt... Machen wir uns mit dem Evangelium vertraut, es wird uns die Neuheit und Freude Gottes bringen!
Das Wort Gottes ist auch das Leuchtfeuer, das den synodalen Prozess, der in der ganzen Kirche begonnen hat, leitet. Während wir uns bemühen, einander mit Aufmerksamkeit und Unterscheidungsvermögen zuzuhören - denn das ist keine Meinungsumfrage, nein, unterscheiden ist das Wort - lasst uns gemeinsam auf das Wort Gottes und den Heiligen Geist hören. Möge die Gottesmutter uns die Beständigkeit geben, uns jeden Tag vom Evangelium zu nähren.
(vatican news)
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