Wortlaut: Ansprache von Papst Franziskus bei seiner Generalaudienz
Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!
Die Verkündigung des heiligen Paulus ist ganz auf Jesus und sein Ostergeheimnis ausgerichtet. In der Tat stellt sich der Apostel als Verkünder Christi, des Gekreuzigten, vor (vgl. 1Kor 2,2). Die Galater, die versucht waren, ihre Religiosität auf die Einhaltung von Vorschriften und Traditionen zu gründen, erinnert er an das, was die Mitte des Heils und des Glaubens ist: der Tod und die Auferstehung des Herrn. Und er tut dies, indem er ihnen den Realismus des Kreuzes Jesu vor Augen führt. Er schreibt: ?Wer hat euch verblendet? Ist euch Jesus Christus nicht deutlich als der Gekreuzigte vor Augen gestellt worden?“, schreibt er (Gal 3,1). Wer hat euch verblendet, um euch von Christus, dem Gekreuzigten, zu entfernen? Das ist ein häßlicher Moment für die Galater.
Viele suchen nach religiösen Gewissheiten, aber nicht nach dem lebendigen Gott
Auch heute noch suchen viele nach religiösen Gewissheiten und nicht nach dem lebendigen und wahren Gott. Sie konzentrieren sich auf Rituale und Vorschriften, anstatt den Gott der Liebe mit ihrem ganzen Wesen anzunehmen. Das ist die Versuchung der neuen Fundamentalisten, nicht wahr - sie scheinen Angst davor zu haben, auf der Straße vorwärts zu gehen, und gehen deshalb zurück, weil sie sich so sicherer fühlen. Sie suchen die Sicherheit Gottes und nicht den Gott der Sicherheit. Deshalb fordert Paulus die Galater ja auch auf, sich auf das Wesentliche zu besinnen: zurückkehren zu Gott, zum Wesentlichen. Nicht zur Sicherheit Gottes, sondern zum Wesentlichen. Zu Gott, der uns das Leben in Christus, dem Gekreuzigten, schenkt. Dafür kann er selbst Zeugnis ablegen, wenn er sagt: ?Ich bin mit Christus gekreuzigt worden. Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20). Und gegen Ende seines Briefes stellt er fest: ?Ich aber will mich allein des Kreuzes Jesu Christi, unseres Herrn, rühmen“ (6,14).
Nehmen wir uns also – wann immer wir den Faden unseres geistlichen Lebens verlieren, uns von tausend Problemen und Gedanken bedrängen lassen – den Rat des Paulus zu Herzen: Treten wir vor den gekreuzigten Christus und beginnen wir von ihm aus neu. Nehmen wir das Kruzifix in die Hand und drücken wir es an unser Herz. Oder halten wir Anbetung vor der Eucharistie, wo Jesus das für uns gebrochene Brot ist, der gekreuzigte Auferstandene, die Kraft Gottes, der seine Liebe in unsere Herzen eingießt.
Evangelium ist für alle, nicht für ein paar Privilegierte
Und lasst uns nun, geleitet vom heiligen Paulus, einen weiteren Schritt tun. Fragen wir uns: Was geschieht, wenn wir Jesus, dem Gekreuzigten, im Gebet begegnen? Was geschieht, ist das, was unter dem Kreuz geschah: Jesus übergibt den Geist (vgl. Joh 19,30), das heißt, er gibt sein Leben hin. Und der Geist, der dem Pascha Jesu entspringt, ist der Ursprung des geistlichen Lebens. Er ist es, der das Herz verändert: nicht unsere Werke - er ändert unser Herz, nicht das was wir tun -, sondern das Wirken des Heiligen Geistes in uns! Er ist es, der die Kirche leitet, und wir sind gerufen, uns seinem Wirken zu fügen, das sich zeigt, wo und wie er will. Gerade die Erkenntnis, dass der Heilige Geist auf alle Menschen herabgekommen ist und seine Gnade ohne Unterschied ausgegossen hat, hat selbst die widerstrebendsten Apostel davon überzeugt, dass das Evangelium Jesu für alle und nicht für einige wenige Privilegierte bestimmt war. Und diejenigen, die die Sicherheit suchen, die kleine Gruppe, die Gewissheiten von früher - diejenigen, die so leben wie früher, entfernen sich vom Geist. Sie lassen nicht zu, dass die Freiheit des Geistes in sie einkehrt. So wird das Leben der Gemeinschaft durch den Heiligen Geist erneuert, und ihm ist es zu verdanken, dass wir unser christliches Leben nähren und unseren geistlichen Kampf weiterführen können.
Der geistliche Kampf ist eine weitere große Lehre des Galaterbriefes. Der Apostel zeigt uns zwei gegensätzliche Fronten auf: auf der einen Seite die ?Werke des Fleisches“, auf der anderen die ?Frucht des Geistes“. Was sind die Werke des Fleisches? Es sind Verhaltensweisen, die dem Geist Gottes widersprechen. Der Apostel nennt sie nicht deshalb Werke des Fleisches, weil in unserem menschlichen Fleisch etwas Falsches oder Schlechtes wäre; im Gegenteil, wir haben gesehen, wie er auf dem Realismus des menschlichen Fleisches beharrt, das Christus am Kreuz getragen hat! ?Fleisch“ ist ein Wort, das den Menschen in seiner irdischen Dimension bezeichnet, in sich selbst eingeschlossen, in einem horizontalen Leben, in dem man weltlichen Instinkten folgt und die Tür zum Geist verschließt, der uns erhebt und uns aufgeschlossen macht für Gott und für die anderen. Und das Fleisch erinnert uns auch daran, dass all dies der Vergänglichkeit unterworfen ist und verrottet, der Geist aber Leben schenkt. Paulus nennt daher als Werke des Fleisches den selbstbezogenen Gebrauch der Sexualität, Zauberei, Götzendienst und alles, was die zwischenmenschlichen Beziehungen untergräbt, wie ?Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen und Neid“ (vgl. Gal 5,19-21). All das ist sozusagen Frucht des Fleisches - eines nur menschlichen, Verhaltens, eines auf kranke Weise menschlichen Verhaltens. Denn das Menschliche hat seine Werte - aber das ist auf kranke Weise menschlich.
Eine Mauer von Geboten - das ist nicht die Kirche
Die Frucht des Geistes dagegen ist ?Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Enthaltsamkeit“ (Gal 5,22). Die Christen, die in der Taufe ?Christus angezogen“ haben (Gal 3,27), sind gerufen, so zu leben. Es kann eine gute geistliche Übung sein, zum Beispiel die Liste des Paulus zu lesen und das eigene Verhalten daraufhin zu prüfen, ob es dem entspricht, ob unser Leben wirklich dem Heiligen Geist entspricht, ob es diese Früchte trägt. Diese Früchte der Liebe, Freude, des Friedens, der Großherzigkeit, der Freundlichkeit, der Güte, der Treue, der Sanftmut, der Selbstbeherrschung - trägt mein Leben diese Früchte? Ist es der Geist, der sie hervorbringt? Zum Beispiel die ersten drei genannten: Liebe, Friede und Freude. Daran erkennt man einen Menschen, der vom Geist Gottes bewohnt wird. Jemand, der mit sich im Reinen ist, der freudig ist und der liebt - an diesen drei Spuren erkennt man den Geist.
Diese Lehre des Apostels stellt auch für unsere Gemeinschaften eine große Herausforderung dar. Manchmal haben jene, die sich der Kirche nähern wollen, den Eindruck, dass sie vor einer Mauer von Geboten und Vorschriften stehen. Aber nein, das ist nicht die Kirche! Das kann irgendein Verband sein. Dabei lässt sich die Schönheit des Glaubens an Jesus Christus doch nicht durch eine Unmenge von Geboten und eine moralische Vision erfassen, die uns die ursprüngliche Fruchtbarkeit der Liebe vergessen lässt, die sich aus dem friedensstiftenden Gebet und dem freudigen Zeugnis speist. Und ebenso kann das Leben des Geistes, das in den Sakramenten zum Ausdruck kommt, auch nicht durch eine Bürokratie erstickt werden, die den Zugang zur Gnade des Geistes, dem Urheber der Umkehr des Herzens, verhindert. Wie oft sind wir Priester und Bischöfe sehr bürokratisch, wenn wir ein Sakrament spenden wollen, wenn wir die Leute empfangen, so dass die Leute sagen: Nein, das gefällt mir nicht, und wieder gehen. Sie sehen ins uns oft nicht die Kraft des Geistes, der erneuert, der uns alle neu macht. Wir haben also die große Verantwortung, den gekreuzigten und auferstandenen Christus zu verkünden, beseelt vom Atem des Geistes der Liebe. Denn nur diese Liebe hat die Macht, das Herz des Menschen anzuziehen und zu verändern. Danke.
(vaticannews - skr)
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