Fliegende PK nach Irak-Reise: Papst zeigt Weg des Dialogs auf
VATICAN NEWS
Dabei nannte er namentlich das Treffen mit dem ?weisen Mann Gottes“ Ali Sistani, die Besichtigung der zerstörten Kirchen in Mossul und die Worte der christlichen Mutter, die den Mördern ihres getöteten Sohnes verziehen habe. Auch ging er auf eine schon länger versprochene Libanon-Reise ein und kündigte an, dass er zur Abschlussmesse des Eucharistischen Kongresses in Ungarn nach Budapest und eventuell auch nach Bratislava reisen will.
Zuwendung, Liebe und Geschwisterlichkeit seien der Weg, den man im Dialog eingehen müsse, hob Papst Franziskus bei der ?Fliegenden PK“ an diesem Montagmorgen auf dem Rückflug aus Bagdad nach Rom hervor. Vor den mitreisenden Journalisten ging er auf die Tage im Irak ein und erläuterte, welche Eindrücke besonders haften geblieben seien. So nannte er das Treffen mit dem schiitischen Großajatollah Ali Sistani, aber auch die Besichtigung der zerstörten Kirchen in Mossul. Franziskus verriet bei dieser Gelegenheit, dass er dem maronitischen Patriarchen Bechara Rai versprochen habe, in den Libanon zu reisen.
Vorstellung des ?neuen Sheriffs“
Zu Beginn des Treffens mit den Journalisten begrüßte der Papst Dieudonné Datonou, den neuen Reisemarschall. Dieser ist für die Logistik und Organisation der Reisen des Papstes und der mitreisenden Gästen zuständig. Er folgt auf den Kolumbianer Mauricio Rueda Beltz, der in den diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls gewechselt ist. Franziskus nannte Datonou scherzend den ?neuen Sheriff“.
Dann richtete Franziskus einen Gruß an die mitreisenden Medienleute: ?Zunächst möchte ich euch allen für eure Arbeit danken, aber auch für eure Begleitung und eure Müdigkeit. Heute ist der Welttag der Frauen, meine Glückwünsche an alle Frauen! Beim Treffen mit der Ehefrau des irakischen Präsidenten kam es zur Sprache, weshalb es denn nicht einen Welttag des Mannes gebe. Ich sagte dazu: weil wir Männer immer in Feststimmung sind! Die Ehefrau des Präsidenten hat mir über die Frauen gesprochen und hat mir da heute sehr schöne Sachen erzählt. Sie ging auf die Standfestigkeit ein, die die Frauen bei der Bewältigung des Lebens, der Geschichte, der Familie und vieles mehr haben. Und dann drittens: gestern war der Geburtstag der Journalistin von Cope. Herzlichen Glückwunsch und wir müssen das unbedingt feiern. Wir schauen dann, wie das gehen soll.“
Anschließend ging es weiter mit den Fragen der Journalisten:
Eure Heiligkeit, vor zwei Jahren gab es in Abu Dhabi ein Treffen mit Imam Al Tayyeb von Al Azhar und die Unterzeichnung der Erklärung zur Geschwisterlichkeit. Vor drei Tagen haben Sie sich mit Ali Sistani getroffen: Ist etwas Ähnliches auch mit der schiitischen Seite des Islam denkbar? Und dann noch eine zweite Frage zum Libanon: Der heilige Johannes Paul II. sagte, dass der Libanon mehr als ein Land eine Botschaft sei. Heute sage ich Ihnen als Libanese leider, dass diese Botschaft nun verschwindet. Steht ein Besuch von Ihnen im Libanon bevor?
Das Dokument von Abu Dhabi vom 4. Februar wurde mit dem Großimam im Geheimen vorbereitet, während sechs Monaten, in denen wir beteten, nachdachten und den Text korrigierten. Es war - es ist ein bisschen vermessen, das zu sagen, nehmen Sie es aber als Mutmaßung - ein erster Schritt von dem, wonach Sie fragen. Wir können sagen, dass das dann der zweite Schritt wäre und es werden noch weitere folgen. Der Weg der Geschwisterlichkeit ist wichtig. Das Dokument von Abu Dhabi hat in mir die Sehnsucht nach der Geschwisterlichkeit, hinterlassen und dann kam die Enzyklika ?Fratelli tutti“ heraus. Beide Dokumente sollten studiert werden, weil sie in die gleiche Richtung gehen, auf dem Weg der Geschwisterlichkeit.
Ajatollah Ali Sistani sagt einen Satz, den ich versuche, mir gut zu merken: Menschen sind entweder Geschwister durch die Religion oder einander gleich durch die Schöpfung. In der Geschwisterlichkeit liegt Gleichheit, aber unter die Gleichheit können wir nicht gehen. Ich glaube, dass dies auch ein kultureller Weg ist. Denken wir an uns Christen, an den Dreißigjährigen Krieg, an die tragische Bartholomäus-Nacht, um ein Beispiel zu nennen. Wie verschieden die Mentalität unter uns ist: denn unser Glaube lässt uns entdecken, dass es das ist, die Offenbarung Jesu ist die Liebe und Nächstenliebe und führt uns dazu. Aber wie viele Jahrhunderte braucht es, um sie umzusetzen! Das ist wichtig, die menschliche Geschwisterlichkeit, dass wir als Menschen alle Brüder und Schwestern sind, und wir müssen mit anderen Religionen voranschreiten.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat hier einen großen Schritt getan, und auch die danach eingerichteten Institutionen, wie der Rat für die Einheit der Christen und der Rat für den Interreligiösen Dialog. Kardinal Ayuso hat uns bei dieser Reise begleitet. Wir sind Menschen, wir sind Kinder Gottes und jeder ist meine Schwester und mein Bruder, Punkt! Das wäre der größte Hinweis, und oft muss riskieren, um diesen Schritt zu machen.
Sie wissen, dass es einige Kritikpunkte gibt. Es gibt einige, die sagen dass der Papst nicht mutig sei, dass er Schritte gegen die katholische Lehre unternehme, dass er einen Schritt von der Häresie entfernt sei, dass es Risiken gebe. Aber diese Entscheidungen werden immer im Gebet getroffen, im Dialog, im Einholen von Ratschlägen, in der Reflexion. Sie sind nicht aus einer Laune heraus entstanden und entsprechen auch der Linie, die durch das Konzil vorgegeben worden ist.
Ich komme zur zweiten Frage: Der Libanon ist eine Botschaft, der Libanon leidet, der Libanon ist mehr als ein Gleichgewicht, er hat die Schwäche der Verschiedenheiten, von denen einige Teile noch nicht versöhnt sind, aber der Libanon hat die Kraft des großen versöhnten Volkes, wie die Kraft der Zedern. Patriarch Rai hat mich gebeten, auf dieser Reise einen Zwischenstopp in Beirut zu machen, aber das schien mir ein bisschen wenig.... Das wäre ein Brosamen im Angesicht eines Problems, eines Landes, das leidet wie der Libanon. Ich habe ihm einen Brief geschrieben und versprochen, eine Reise zu machen. Aber der Libanon ist in diesem Moment in einer Krise, und ich will nicht beleidigend sein, aber das ist eine Lebenskrise. Der Libanon ist so großzügig bei der Aufnahme von Flüchtlingen.
Das Treffen mit dem schiitischen Großajatollah
Inwieweit war das Treffen mit Ali Sistani auch eine Botschaft an die religiösen Führer des Irans?
Ich glaube, es war eine universelle Botschaft. Ich fühlte die Pflicht, diese Pilgerreise des Glaubens und der Buße zu unternehmen und einen großen, einen weisen Mann, einen Mann Gottes zu treffen: nur wenn man ihm zuhört, kann man das erkennen. Wenn wir von Botschaften sprechen, würde ich sagen, dass es eine Botschaft für jeden ist, und er ist ein Mensch, der diese Weisheit und auch Umsicht besitzt. Er sagte mir: ?Seit 10 Jahren empfange ich keine Leute mehr, die mich mit politischen oder kulturellen Absichten besuchen kommen... nur mit religiösen. Und er war sehr respektvoll, ja, sehr respektvoll bei dem Treffen. Ich fühlte mich geehrt.
Auch im Moment der Begrüßung, er steht üblicherweise nie auf... Er stand auf, um mich zu begrüßen, zweimal, ein bescheidener und weiser Mann, diese Begegnung tat meiner Seele gut. Er ist ein Licht, und diese Weisen sind überall, weil sich Gottes Weisheit über die ganze Welt verbreitet hat. Das Gleiche geschieht mit den Heiligen, die nicht nur die sind, die auf den Altären stehen. Es passiert jeden Tag, was ich die Heiligen von nebenan nenne, Männer und Frauen, die ihren Glauben, welcher auch immer es sei, mit Konsequenz leben. Diejenigen, die menschliche Werte mit Konsequenz leben, Geschwisterlichkeit mit Konsequenz.
Ich denke, wir sollten diese Menschen entdecken, sie hervorheben, denn es gibt so viele Beispiele... Wenn es auch in der Kirche Skandale gibt, so viele, dann hilft das zwar nicht, aber lasst uns die Menschen sehen, die den Weg der Geschwisterlichkeit suchen, die Heiligen von nebenan, und wir werden sicher auch Menschen aus unserer Familie finden, einige Großmütter, einige Großväter.
Die Bedeutung der Irak-Reise
Ihre Reise hatte ein enormes Echo in der ganzen Welt. Glauben Sie, dass es ?die Reise“ des Pontifikats schlechthin sein könnte? Es wurde auch gesagt, dass es die riskanteste Visite sei. Hatten Sie zu irgendeinem Zeitpunkt während Ihrer Reise Angst? Sie stehen auch kurz vor der Vollendung des achten Jahres Ihres Pontifikats, glauben Sie noch, dass es ein kurzes Pontifikat sein wird? Schließlich die große Frage: werden Sie einmal nach Argentinien zurückkehren?
Ich beginne mit der letzten, einer Frage..., die ich verstehe und die mit dem Buch meines Journalistenfreundes Nelson Castro, einem Arzt, zusammenhängt. Er hatte ein Buch über die Krankheiten von Präsidenten gemacht, und ich sagte einmal zu ihm: aber wenn du nach Rom kommst, musst du eines über die Krankheiten der Päpste machen, denn es wird interessant sein, etwas über Krankheiten der Päpste zu erfahren, zumindest über einige der jüngeren Vergangenheit. Er führte mit mir ein Interview, und das Buch kam heraus: man sagte mir, es sei gut geworden, ich habe es nicht gelesen. Er stellte mir eine Frage: ?Falls Sie zurücktreten, gehen Sie dann zurück nach Argentinien oder bleiben Sie hier?“ Ich habe gesagt: ?Ich gehe nicht zurück nach Argentinien, sondern ich bleibe hier in meiner Diözese.“ Aber bei dieser Hypothese muss die Antwort mit der Frage kombiniert werden. Wenn man mich fragt, ob ich nach Argentinien fahre oder nicht dorthin fahre, dann antworte ich immer ein wenig ironisch: Ich war 76 Jahre lang in Argentinien, reicht das nicht?
Es gibt eine Sache, die, ich weiß nicht warum, nie gesagt wird: eine Reise nach Argentinien war im November 2017 geplant. Man fing an, daran zu arbeiten, wir hätten nach Chile, Argentinien und Uruguay reisen sollen. Es war für Ende November vorgesehen... Aber damals war Chile im Wahlkampf, im Dezember wurde die Nachfolgerin von Michelle Bachelet gewählt, und ich hätte reisen müssen, bevor die Regierung wechselte. Ich konnte aber nicht reisen. Wir hatten uns überlegt: Lass uns im Januar nach Chile fahren und dann nach Argentinien und Uruguay... Aber das war nicht möglich, denn Januar ist wie Juli-August für die beiden Länder.
Dann wurde noch einmal darüber nachgedacht und es wurde der Vorschlag gemacht: Warum nicht Peru dazunehmen? Denn Peru war von der Reise nach Ecuador, Bolivien, Paraguay abgetrennt worden. Das blieb außen vor. Aber daraus wurde dann die Reise im Januar 2018 nach Chile und Peru. Aber das will ich sagen, damit es keine Phantasien von ?Heimatphobie“ geben möge: Wenn es die Möglichkeit gibt, dann soll es gemacht werden, denn es gibt Argentinien, Uruguay und den Süden Brasiliens für eine Reise. Um eine Reiseentscheidung zu treffen, höre ich auf die Ratschläge der Berater. (...) Es ist gut für mich zuzuhören, das hilft mir später bei der Entscheidungsfindung. Ich höre den Seelsorgern zu und am Ende bete ich, ich denke dann viel nach, über manche Reisen reflektiere ich sehr viel. Dann kommt die Entscheidung von innen, aus dem Bauch heraus, fast spontan, aber wie eine reife Frucht. Das ist ein langer Weg. Einige sind schwieriger, andere einfacher.
Die Entscheidung über diese jetzige Reise ging von der früheren Botschafterin Iraks, einer Kinderärztin, aus. Eine gute Frau, sie hatte so darauf bestanden. Dann kam die irakische Botschafterin in Italien, sie ist eine kämpferische Frau. Dann kam der neue irakische Botschafter beim Heiligen Stuhl. Zuvor war noch der irakische Präsident gekommen. All diese Dinge sind in mir geblieben. Aber es gibt einen Grund hinter der Entscheidung den ich erwähnen möchte: Eine von euch schenkte mir die neueste spanische Ausgabe des Buches ?Das letzte Mädchen“ von Nadia Mourad. Ich habe es auf Italienisch gelesen, es ist die Geschichte der Jesiden. Und Nadia Mourad erzählt erschreckende Dinge. Ich empfehle Ihnen, es zu lesen, in einigen Punkten mag es heftig erscheinen, aber für mich ist dies der Hauptgrund für meine Entscheidung. Das Buch hat in mir gearbeitet. Auch als ich Nadia zuhörte, die kam, um mir schreckliche Dinge zu erzählen... All diese Dinge zusammen haben die Entscheidung beflügelt, wenn man an all die Probleme denkt, so viele. Aber am Ende kam die Entscheidung und ich habe sie getroffen.
Dann zum achten Jahr des Pontifikats: Soll ich so machen? (der Papst kreuzt seine Finger in einem Zeichen des Aberglaubens, Anm. d. Red.). Ich weiß nicht, ob die weiteren Reisen wahr werden oder nicht, nur muss ich gestehen, dass ich mich auf dieser Reise viel stärker ermüdet habe als bei den anderen. Die 84 Jahre kommen nicht von alleine, es ist eine Konsequenz... aber wir werden sehen. Jetzt muss ich nach Ungarn zur Abschlussmesse des Internationalen Eucharistischen Kongresses fahren, kein Besuch im Land, sondern nur zur Messe. Aber Budapest ist zwei Autostunden von Bratislava entfernt, warum also nicht einen Besuch in der Slowakei machen? So ist es, wie die Dinge entstehen...
Das Corona-Risiko
Diese Reise war außerordentlich bedeutungsvoll für die Menschen, die Sie treffen konnten, aber sie war auch eine Chance für den Virus, sich zu verbreiten, besonders bei den Menschen, die auf einem Haufen waren. Sind Sie besorgt, dass sie krank werden und sterben könnten, weil sie Sie sehen wollen?
Wie ich schon sagte, ?köcheln“ die Reisen lange Zeit in meinem Gewissen, und das ist eines der Dinge, die für mich ermutigend waren. Ich habe viel darüber nachgedacht, viel gebetet und schließlich die Entscheidung getroffen, die wirklich von innen kam. Und ich habe gesagt: Derjenige, der mir eingibt, mich so zu entscheiden, soll sich um die Menschen zu kümmern. Aber nach dem Gebet und nach der Kenntnis der Risiken. Nach all dem.
Die Christen im Irak
Wir haben den Mut, die Dynamik der irakischen Christen gesehen, wir haben auch die Herausforderungen gesehen, mit denen sie sich auseinandersetzen müssen, die Bedrohung durch islamistische Gewalt, den Exodus und die Bezeugung des Glaubens in ihrer Umgebung. Dies sind die Herausforderungen der Christen in der gesamten Region. Wir sprachen über den Libanon, aber das gilt auch für Syrien und das Heilige Land. Vor zehn Jahren gab es eine Synode für den Nahen Osten, aber ihre Entwicklung wurde durch den Angriff auf die Kathedrale von Bagdad unterbrochen. Denken Sie daran, etwas für den gesamten Nahen Osten zu tun, eine regionale Synode oder eine andere Initiative?
Ich denke nicht an eine Synode, ich bin offen für viele Initiativen, aber eine Synode ist mir nicht eingefallen. Sie haben den ersten Samen gesät, schauen wir mal. Das Leben der Christen ist mühselig, aber nicht nur das der Christen, wir sprachen über die Jesiden... Und das, ich weiß nicht warum, gab mir eine sehr große Kraft. Da ist das Problem der Migration. Als wir gestern von Karakosch zurück nach Erbil fuhren, sah ich viele Menschen, junge Leute, das Alter ist sehr, sehr niedrig. Und die Frage, die mir jemand stellte: aber was ist die Zukunft für diese jungen Leute? Wo werden sie hingehen? Viele werden das Land verlassen müssen. Vor der Abreise am Freitag kamen zwölf irakische Flüchtlinge, um sich von mir zu verabschieden: Einer hatte eine Beinprothese, weil er bei der Flucht unter einem Lastwagen kam und einen Unfall hatte.
Migration ist ein doppeltes Recht: das Recht, nicht zu migrieren und das Recht, zu migrieren. Diese Menschen haben weder das eine noch das andere, denn sie können nicht nicht migrieren, sie wissen nicht wie. Und sie können nicht migrieren, weil die Welt sich noch nicht bewusst gemacht hat, dass Migration ein Menschenrecht ist. Neulich sagte ein italienischer Soziologe zu mir, als er über den sogenannten demografischen Winter in Italien sprach: In vierzig Jahren werden wir Ausländer ?importieren“ müssen, damit sie arbeiten und Steuern für unsere Renten einzahlen können. Ihr Franzosen seid schlauer gewesen, Ihr seid zehn Jahre weiter mit dem Gesetz zur Unterstützung der Familie, Euer Wachstumsniveau ist sehr groß.
Aber Migration wird als Invasion erlebt. Gestern wollte ich nach der Messe, weil er darum gebeten hat, den Vater von Alan Kurdi empfangen, dieses Kindes, das ein Symbol ist, Alan Kurdi ist ein Symbol: Deshalb habe ich seine Skulptur der FAO geschenkt. Es ist ein Symbol, das über ein Kind, das bei der Migration gestorben ist, hinausgeht, ein Symbol für Zivilisationen, die sterben, die nicht überleben können, ein Symbol für Menschlichkeit. Es sind dringende Maßnahmen erforderlich, damit die Menschen in ihren eigenen Ländern Arbeit haben und nicht auswandern müssen. Und dann die Maßnahmen zur Sicherung des Rechts auf Migration. Es ist wahr, dass jedes Land die Aufnahmefähigkeit gut studieren muss, weil es nicht nur bedeutet, sie zu empfangen und am Strand bleiben zu lassen. Man muss sie aufnehmen, begleiten, vorankommen lassen und integrieren.
Die Integration von Migranten ist der Schlüssel. Zwei Anekdoten: In Zaventem, in Belgien, waren die Terroristen Belgier, also in Belgien geboren, aber ghettoisierte islamische Emigranten, die nicht integriert waren. Das andere Beispiel: Als ich nach Schweden ging, war die Ministerin, die mich verabschiedete, sehr jung, sie hatte eine besondere Physiognomie, nicht typisch für Schweden. Sie war die Tochter eines Migranten und einer Schwedin, so integriert, dass sie Ministerin wurde. Lassen Sie uns über diese beiden Dinge nachdenken, sie werden uns sehr viel nachzudenken geben: Integration.
Zum Thema Migration, das meiner Meinung nach das Drama der Region ist, möchte ich den großzügigen Ländern danken, die Migranten aufnehmen. Ich nenne den Libanon, der, glaube ich, zwei Millionen Syrer hat; Jordanien - leider werden wir es nicht überfliegen, der König wollte uns mit der Begleitung von Flugzeugen einen Tribut zollen - ist sehr großzügig: mehr als anderthalb Millionen Migranten. Vielen Dank an diese großzügigen Länder! Herzlichen Dank!
Die Zukunft des Nahen Ostens
In drei Tagen haben Sie in diesem Schlüsselland des Nahen Ostens das getan, worüber die Mächtigen der Erde seit dreißig Jahren diskutieren. Sie haben bereits erklärt, was die interessante Entstehungsgeschichte Ihrer Reisen ist, wie die Auswahl Ihrer Reisen zustande kommt, aber jetzt in dieser Zeit, mit Blick auf den Nahen Osten, können Sie eine Reise nach Syrien in Betracht ziehen? Was könnten die weiteren Reiseziele in diesem Jahr sein, wo Ihre Anwesenheit erforderlich ist?
Im Nahen Osten ist die Annahme, aber auch das Versprechen, der Libanon. Ich habe nicht über eine Reise nach Syrien nachgedacht, weil mir diese Inspiration nicht gekommen ist. Aber ich bin dem gequälten und geliebten Syrien, wie ich es nenne, sehr nahe. Ich erinnere mich an den Gebetsnachmittag zu Beginn meines Pontifikats auf dem Petersplatz mit Rosenkranz und Anbetung des Allerheiligsten. Aber wie viele Muslime mit Teppichen auf dem Boden haben mit uns für den Frieden in Syrien gebetet, um die Bombardierung zu stoppen, in dem Moment, als es hieß, dass es heftige Bombardierungen geben würde. Ich trage Syrien in meinem Herzen. Aber an eine Reise zu denken, ist mir nicht gekommen.
Vorkehrungen gegen Covid
In diesen Tagen und Monaten waren Ihre Aktivitäten sehr begrenzt. Gestern hatten Sie den ersten sehr engen direkten Kontakt mit den Menschen in Karakosch: Was haben Sie empfunden? Können Ihrer Meinung nach jetzt, mit all den aktuellen Gesundheitsmaßnahmen, die Generalaudienzen mit dem Volk und den Gläubigen wieder so sein wie vorher?
Ich fühle mich anders, wenn ich weit weg von den Leuten im Publikum bin. Ich möchte so schnell wie möglich wieder mit den Generalaudienzen beginnen. Hoffen wir, dass die Bedingungen stimmen, ich folge jedenfalls den Normen der Behörden. Sie sind verantwortlich und sie haben die Gnade Gottes, uns dabei zu helfen, sie sind verantwortlich für das Erarbeiten der Normen. Ob es uns gefällt oder nicht, sie sind verantwortlich und müssen das jetzt tun.
Inzwischen habe ich wieder mit dem Angelus auf dem Petersplatz begonnen, denn das ist machbar, wenn der Abstand eingehalten wird. Es gibt den Vorschlag einer kleinen Generalaudienz mit wenig Publikum, aber ich habe da noch nichts entschieden, bis die Entwicklung der Situation klarer wird. Nach diesen Monaten der Gefangenschaft habe ich mich wirklich ein wenig eingesperrt gefühlt, diese Reise war für mich ein Aufleben. Ein Aufleben, weil es ein Berühren der Kirche ist, das heilige Volk Gottes berühren, alle Völker berühren. Ein Priester wird Priester, um zu dienen, im Dienst des Volkes Gottes, nicht wegen der Karriere, nicht wegen Geld.
Heute Morgen in der Messe hatten wir die biblische Lesung über die Heilung von Naaman dem Syrer, und da hieß, dass Naaman, nachdem er die Heilung erlangt hatte, Geschenke machen wollte. Aber der Prophet Elischa lehnte sie ab. Als sie weg waren, so fährt die Bibel fort, eilte der Diener des Propheten hinter Naaman her und bat um Geschenke für sich selbst. Und Gott sagte zu dem Diener: ?Der Aussatz Naamans soll für immer an dir haften.“ Ich fürchte, dass wir, Männer und Frauen der Kirche, besonders wir Priester, diese unentgeltliche Nähe zum Volk Gottes, das uns rettet, nicht haben, und stattdessen wie Elischas Diener sind: helfen - ja, aber dann zurückkommen, um sich Geschenke zu holen. Vor dieser Lepra habe ich Angst. Und das Einzige, das uns rettet vor dem Aussatz der Gier und des Stolzes, ist das heilige Volk Gottes. Dasjenige, über das Gott zu David sagte: Ich habe dich aus der Herde genommen, vergiss die Herde nicht. Das, wovon Paulus zu Timotheus sprach: Gedenke deiner Mutter und Großmutter, die dich im Glauben erzogen haben, das heißt, verliere nicht die Zugehörigkeit zum Volk Gottes, um eine privilegierte Kaste von Geweihten, Klerikern oder was auch immer zu werden. Der Kontakt mit dem Volk rettet uns, hilft uns, wir geben die Eucharistie, die Predigt, das ist unsere Aufgabe. Aber sie geben uns Zugehörigkeit. Diese Zugehörigkeit zum Volk Gottes sollten wir nicht vergessen.
Was habe ich im Irak, in Karakosch, erlebt? Ich hatte mir die Trümmer von Mossul nicht vorgestellt, wirklich nicht.... Sicher, ich habe das gesehen, ich habe das Buch gelesen, aber das hier [die Trümmer] berührt, das ist berührend. Was mich am meisten berührte, war das Zeugnis einer Mutter in Karakosch. Dort sprachen ein Priester, der Armut, Dienst und Buße wirklich kennt, und eine Frau, die bei den ersten Bombenanschlägen des ?IS“ ihren Sohn verloren hat. Sie sagte ein Wort: Vergebung. Ich war gerührt. Eine Mutter, die sagt: Ich vergebe, ich bitte um Vergebung für sie [die Täter]. Das erinnerte mich an meinen Besuch in Kolumbien, an jenes Treffen in Villavicencio, wo so viele Menschen, vor allem Frauen, Mütter und Ehefrauen, über ihren Umgang mit der Ermordung ihrer Kinder und Ehemänner sprachen. Sie sagten: Ich vergebe, ich vergebe. Wir haben dieses Wort verloren, wir wissen, wie man gut beleidigt, wir wissen, wie man schwer verurteilt, ich als Erster. Aber vergeben... unseren Feinden vergeben, das ist das reine Evangelium. Das ist es, was mich in Karakosch am meisten beeindruckt hat.
Der Besuch in Mossul
Ich wollte wissen, wie Sie sich fühlten, als Sie aus dem Hubschrauber die zerstörte Stadt Mossul sahen und dann in den Ruinen einer Kirche beteten. Wenn ich darf, da heute Frauentag ist, wollte ich auch eine kleine Frage zu Frauen stellen. Sie haben die Frauen in Karakosch mit sehr schönen Worten unterstützt, aber was denken Sie über die Tatsache, dass eine verliebte muslimische Frau keinen Christen heiraten kann, ohne von ihrer Familie verstoßen zu werden oder Schlimmeres?
Über Mossul habe ich gerade ?en passant“ gesagt, was ich gefühlt habe. Ich blieb vor der zerstörten Kirche stehen, ich hatte keine Worte. Unglaublich, es war unglaublich... Nicht nur diese Kirche, sondern auch andere Kirchen, auch eine zerstörte Moschee. Offenbar war die Gemeinde dort gegen diese Leute. Unglaubliche menschliche Grausamkeit. In diesem Moment […] fangen wir neu an: schauen wir auf Afrika. Und mit unserer Erfahrung in Mossul, diesen zerstörten Kirchen und allem, das schafft Feindschaft, Krieg, und auch der sogenannte ?Islamische Staat“ beginnt wieder zu handeln. Das ist hässlich, sehr hässlich. Eine Frage, die mir in der Kirche in den Sinn kam, war diese: Wer verkauft die Waffen an diese Zerstörer? Warum stellen sie die Waffen nicht selbst zu Hause her? Ja, es werden einige Waffen hergestellt... Aber wer verkauft die Waffen? Wer ist verantwortlich? Zumindest würde ich von denen, die die Waffen verkaufen, die Aufrichtigkeit verlangen zu sagen: Wir verkaufen die Waffen. Das sagen sie nicht. Es ist hässlich.
Jetzt zu den Frauen: Frauen sind mutiger als Männer, aber das war schon immer so. Aber Frauen werden auch heute noch gedemütigt, das geht bis zum Äußersten. Eine von Ihnen [eine Journalistin] hat mir die Preisliste für Frauen gezeigt [erstellt vom ?IS“, der christliche und jesidische Frauen verkaufte]. Ich konnte es nicht glauben: eine Frau mit diesen Eigenschaften, in diesem Alter, kostet so und so viel... Frauen werden verkauft, Frauen werden versklavt. Selbst im Zentrum Roms ist die Arbeit gegen den Menschenhandel eine tägliche Last. Während des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit besuchte ich eines der vielen Häuser des karitativen Werkes von Don Benzi. Da waren freigekaufte Mädchen, eine mit abgeschnittenem Ohr, weil sie an diesem Tag kein Geld mitgebracht hatte, die andere, die im Kofferraum ihres Autos aus Bratislava hergebracht wurde, eine Sklavin, die entführt wurde. Das kommt bei uns vor - der Handel mit Menschen. In diesen Ländern, besonders in Teilen Afrikas, gibt es die Verstümmelung als Ritual, das durchgeführt wird.
Frauen sind immer noch Sklavinnen, und wir müssen kämpfen, kämpfen für die Würde der Frauen. Sie sind diejenigen, die die Geschichte der Menschheit weiterführen, das ist keine Übertreibung, Frauen führen die Geschichte weiter - und es ist kein Kompliment, weil heute Frauentag ist. Auch die Sklaverei ist so, die Ablehnung der Frau... Stellen wir uns das vor, da gab es irgendwo eine Debatte, ob die Verstoßung der Frau schriftlich erfolgen musste oder es mündlich genügte. Nicht einmal das Recht, die Verstoßung schriftlich zu haben! Aber das alles geschieht heute, und um nicht zu weit wegzuschauen, denken wir an das Zentrum von Rom, an die Mädchen, die entführt und ausgebeutet werden. Ich denke, ich habe alles zu diesem Thema gesagt. Ich wünsche Ihnen ein gutes Ende Ihrer Reise und ich bitte Sie, für mich zu beten, ich brauche das.
(Nicht offizielle Arbeitsübersetzung)
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