Vesper mit Te Deum zum Jahresschluss: Die Predigt
Am Ende des Jahres begleitet uns das Wort Gottes mit diesen beiden Versen des Apostels Paulus (vgl. Gal 4,4-5). Es sind knappe und bedeutungsvolle Aussagen: eine Zusammenfassung des Neuen Testaments, die solch einem ?kritischen“ Augenblick wie einem Jahreswechsel Bedeutung gibt.
Die erste Aussage, die uns aufmerken lässt, ist die ?Fülle der Zeit“. Sie erhält eine besondere Resonanz in diesen letzten Stunden des Kalenderjahres, in denen wir noch mehr das Bedürfnis nach etwas empfinden, was die Zeit ?ausfüllt“. Nach etwas, oder besser noch nach jemandem. Dieser ?Jemand“ ist gekommen, Gott hat ihn gesandt: Es ist »sein Sohn«, Jesus. Wir haben vor kurzem seine Geburt gefeiert. Er wurde von einer Frau geboren, von der Jungfrau Maria; er ist unter dem Gesetz geboren, ein jüdisches Kind, das dem Gesetz des Herrn unterstellt ist. Aber wie ist das möglich? Wie kann dies ein Zeichen der »Fülle der Zeit« sein? Sicher, für den Moment ist es fast unsichtbar und bedeutungslos, doch in etwas mehr als dreißig Jahren wird dieser Jesus eine unerhörte Kraft ausströmen, die immer noch andauert und die ganze Geschichte lang andauern wird. Diese Kraft heißt Liebe. Es ist die Liebe, die allem Fülle verleiht, auch der Zeit. Und in diesem einen Menschen Jesus ist die ganze Liebe Gottes ?konzentriert“.
Der heilige Paulus sagt deutlich, warum der Sohn Gottes in der Zeit geboren wurde und welches die Sendung war, die der Vater ihm aufgetragen hat: Er wurde geboren, »um freizukaufen«. Das ist der zweite Ausdruck, der uns verwundert: freizukaufen, das heißt, aus den Verhältnissen der Knechtschaft herauszuholen und zur Freiheit zu führen, zur Würde und zur eigenen Freiheit der Kinder Gottes. Die Knechtschaft, die der Apostel im Sinn hat, ist die des »Gesetzes«, das als ein Bündel von einzuhaltenden Vorschriften verstanden wird. Es ist ein Gesetz, das sicherlich den Menschen erzieht, das durchaus pädagogisch ist, das ihn aber nicht von seiner sündigen Verfasstheit befreit, sondern ihn sozusagen auf diesen Zustand ?festnagelt“ und ihn hindert, die Freiheit der Kinder Gottes zu erlangen.
Gottvater hat seinen eingeborenen Sohn in sie Welt gesandt, um aus dem Herz des Menschen die alte Knechtschaft der Sünde auszureißen und so seine Würde wiederherzustellen. Denn aus dem Herzen der Menschen kommen – wie Jesus im Evangelium lehrt (vgl. Mk 7,21-23) – alle schlechten Gedanken und alles Böse, die das Leben und die Beziehungen verderben.
Hier müssen wir innehalten – innehalten, um mit Schmerz und Reue zu bedenken, warum auch in diesem zu Ende gehenden Jahr so viele Männer und Frauen unter versklavenden und menschenunwürdigen Bedingungen gelebt haben und immer noch leben.
Auch in unserer Stadt Rom gibt es Brüder und Schwestern, die sich aus verschiedenen Gründen in dieser Situation befinden. Ich denke besonders an die vielen Menschen, die kein Zuhause haben. Es sind mehr als zehntausend. Im Winter ist ihre Lage besonders hart. Sie sind alle Söhne und Töchter Gottes, aber verschiedene, zum Teil sehr komplexe Formen der Knechtschaft haben dazu geführt, dass sie am Rand menschlicher Würde leben. Auch Jesus wurde in eine ähnliche Situation hineingeboren, aber nicht zufällig oder wegen eines Missgeschicks: Er wollte so geboren werden, um die Liebe Gottes des Vaters für die Kleinen und Bedürftigen sichtbar zu machen. Auf diese Weise streute er in der Welt den Samen des Gottesreichs aus, des Reiches der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens, wo keiner mehr Sklave ist, sondern alle Brüder und Schwestern, Kinder des einen Vaters.
Die Kirche in Rom möchte nicht gleichgültig gegenüber den Formen der Knechtschaft unserer Zeit sein, und sie möchte sie auch nicht einfach beobachten und versorgen, sondern sie will in diese Realität eintreten und den Menschen in dieser Situation nahe sein.
Zu dieser Form der Mütterlichkeit der Kirche möchte ich ermutigen, während wir das Hochfest der Gottesmutter Maria feiern. Wenn wir dieses Geheimnis betrachten, erkennen wir, dass Gott »geboren von einer Frau« ist, damit wir die Fülle unseres Menschseins, die »Sohnschaft«, erlangen konnten. Durch seine Herabsetzung sind wir wieder aufgerichtet worden. Aus seiner Kleinheit ist unsere Größe gekommen. Aus seiner Schwäche erwuchs unsere Stärke. Aus seiner Annahme der Knechtsgestalt resultierte unsere Freiheit.
Wie könnten wir all dies anders nennen als Liebe? Die Liebe des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, zu der die Mutter Kirche in aller Welt heute Abend ihren Lob- und Dankgesang erhebt.
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