Chile: ?Wir sollten offen sein für das, was dieser Papst uns sagt“
Stefan von Kempis - Santiago de Chile
VN: Muss der Papst jetzt kommen, braucht Chile einen Papstbesuch?
Gronemeyer: ?Man kann nicht warten, bis alles perfekt ist, denn es wird nie alles perfekt sein. Und es ist auch richtig, dass der Papst die Realität bei uns sieht, wie sie ist, mit Licht und Schatten. Von daher: ja, es ist der richtige Zeitpunkt.“
VN: Stichwort Schatten, viele Chilenen sprechen von einer tief gespaltenen Gesellschaft. Warum ist das so, so lange nach der Diktatur, warum ist Chile so unzufrieden mit sich selbst?
Gronemeyer: ?Ja, das ist seltsam, vielleicht ist es kulturell bedingt, dass wir eher negativ sind. Die Leute unterscheiden sehr zwischen dem Klima heute und dem Klima rund um den Papstbesucht von Johannes Paul II. Zu den damaligen Zeiten war das richtig dramatisch. Von daher waren die Erwartungen auch sehr hoch, und es war dann auch ein geglückter Besuch. Jetzt sind diese hohen Erwartungen geblieben, aber die ganze Geschichte hat sich geändert, alles was mit Chile zu tun hat ist jetzt anders, auch die Beziehung zwischen den Chilenen und der Kirche. Von daher ist man heute eher kritisch. Man muss aber auch sagen: es wäre eine große Gelegenheit, weil es eben ein lateinamerikanischer Papst ist. Er wird viel näher zu unseren Anliegen sein können als ein anderer Papst. Deshalb denke ich, man sollte offen und optimistisch auf diesen Papstbesuch warten, und vor allem sollte man hören wollen, was er sagen will und nicht so kurzfristig denken.“
VN: Was kann und soll der Papst denn sagen? Die Kirche hat ja auch in den Jahren der Demokratie in Chile stark an Vertrauen verloren, und zwar nicht nur wegen Missbrauchsskandal, sondern weil sie von vielen Chilenen nur noch als eine Art Moralagentur wahrgenommen wurde. Wie kann ein Papst mit nur ein paar Tagen im Land die Stimmung drehen?
Gronemeyer: ?Es wird schon wichtig sein, und er als Jesuit wird das auch gut machen können, dass er die soziale Frage wieder mehr ins Licht rückt. Das wird sich auf jeden Fall ergeben, denn er wird in den Süden und den Norden gehen, wo es diese sozialen Probleme gibt. Es ist wichtig, dass der Schwerpunkt nicht auf moralischen Fragen bleibt, wo es um sexuelles oder privates Wohlverhalten geht. Er wird da in eine andere Richtung etwas sagen, und das wird wichtig sein für Chile und Lateinamerika.“
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