Unser Sonntag: Christkönig im Kontext der Leidensgeschichte
Sr. M. Anna Schenck CJ
34. Sonntag im Jahreskreis (B) – Christkönigssonntag (Joh 18, 33b–37)
Es sind zwei mächtige Männer, die im heutigen Evangelium einander gegenüberstehen: Der Statthalter des römischen Kaisers, Pontius Pilatus, der die Fülle der weltlichen Macht in Jerusalem und darüber hinaus hatte – und Jesus Christus, dessen Königtum jedoch nicht von dieser Welt ist, der also gerade keine weltliche Macht hat, sich aber dennoch als König bezeichnet.
Im Lauf seines Wirkens sind die Menschen immer wieder erstaunt oder auch erschrocken, wie machtvoll er auftritt, obwohl er keine weltliche Macht besitzt. Sogar die Naturgewalten gehorchen ihm.
Christkönigsfest im Kontext der Leidensgeschichte
In diesem Abschnitt des Johannesevangeliums wirkt es auch eher so, als würden sich zwei Menschen auf Augenhöhe unterhalten. Dass Jesus dem Pontius Pilatus ausgeliefert wurde, damit dieser ihn zum Tode verurteilt, tritt in dieser Szene in den Hintergrund. Zugleich gilt es, nicht zu vergessen, dass das Christkönigsfest in diesem Jahr in den Kontext der Leidensgeschichte Jesu gestellt ist.
Direkt nach diesem Abschnitt werden die Soldaten Jesus eine Dornenkrone aufsetzen und ihn schlagen, zudem einen purpurroten Mantel umhängen und ihn verspotten. Eine wahrhaft schmerzhafte und demütigende Erfahrung!
Pilatus versucht zu verstehen
An zwei Aspekten bleibe ich in der Betrachtung der biblischen Erzählung hängen: Erstens, Pontius Pilatus versucht wirklich zu verstehen, was der Tatbestand ist, den er beurteilen, ja über den er ein Urteil sprechen soll. Pilatus möchte den Anklagegrund kennen und verstehen, was der Grund war, Jesus an ihn auszuliefern. Der Vorwurf der Aufwiegelung gegen den römischen Kaiser steht im Raum. Pilatus zweifelt, ob es schon Aufwiegelung gegen die weltliche Macht bedeutet, wenn sich jemand als König der Juden ausgibt und sagt, dass sein Reich eben nicht von dieser Welt ist. Dieser Versuch zu verstehen gipfelt in der Frage: „Was hast du getan?“ Pontius Pilatus möchte Jesus selbst anhören und sich nicht nur auf das Geschrei des Volkes verlassen.
In mir klingt da gleich die Vertonung einer der Passionsgeschichten durch Johann Sebastian Bach an. Dort antwortet der Sopran auf eine ähnliche Frage sehr sanft, geradezu liebevoll: „Er hat uns allen wohlgetan.“ Mir geht diese Stelle immer unter die Haut. Ja, was hat der Herr denn getan, wofür er den Tod verdient hätte? Hat er nicht allen Gutes getan – er, der die Menschen von ihren Krankheiten heilt und aus ihrer Besessenheit befreit, der ihnen Weisung gibt und sie den Weg zum Leben lehrt? Und noch wichtiger als das: Hat er nicht Gutes getan, weil er will, dass die Menschen leben und auch gut leben können, ja, dass sie das Leben haben und es in Fülle haben? So formuliert er es einmal selbst, aber so hat er auch gelebt und gewirkt.
Gebt dem Kaiser...
Und, hat er nicht gesagt, man solle dem Kaiser, also der weltlichen Macht geben, was ihr zusteht? Das ist nicht Auflehnung, sondern Anerkennung. Aber er hat auch gesagt, dass die Menschen Gott geben sollen, was Gott gebührt. Und das ist entscheidend: Jesus, der König, dessen Reich nicht von dieser Welt ist, hat alles getan, damit wir Menschen zu Gott finden, uns von Gott finden lassen und Gott verehren. Sich allein vor Gott niederzuknien bedeutet nicht, die weltliche Macht zu verachten. Es bedeutet lediglich, weltliche Macht nicht als die höchste Macht anzuerkennen.
Dies alles gilt bis heute: Ich persönlich durfte jedenfalls immer wieder die Erfahrung machen, wie gut es ist, Gott Raum und Zeit zu geben und seiner Macht zu vertrauen. Es tat und tut immer wieder gut, dass der Herr mich aufrichtet und meine Verletzungen heilt, dass er mir den Weg zum Leben weist. In besonders dichter Form mache ich diese persönliche Erfahrung, wenn ich mich in Zeiten der Stille zurückziehe, sie ist aber nicht auf diese Zeiten begrenzt. Im abendlichen Tagesrückblick werde ich mir der lebensfördernden Gegenwart Gottes in meinem Alltag bewusst.
An die königliche Macht Jesu Christi glauben
Und ich weiß von vielen anderen, die ähnliche Erfahrungen machen durften und bezeugen. Selbst dann, wenn ich mich verrannt habe und mit der eigenen Schuld konfrontiert bin, wenn ich mich von Gott und den Menschen abgeschottet habe, tut es mir gut, an die königliche Macht Jesu Christi zu glauben; jene Macht der Vergebung, die ihm, wie er selbst sagt, von Gott seinem Vater gegeben wurde. Gerade an der Barmherzigkeit kann ich wachsen. Letztlich spüre ich dann etwas von der größeren Liebe und dem Leben, das ich mir nicht verdienen kann, sondern das königliches Geschenk Gottes ist.
Jesus trat den Mächtigen auf den Schlips
Was Jesus in der Erfüllung seiner Sendung sehr wohl getan hat: Er ist den religiösen Führern, den Schriftgelehrten und den Pharisäern mächtig auf den Schlips getreten, indem er ihr Verhalten hinterfragt hat. In den Worten Jesu: „Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen.“ (Mk 10,42) Diesen Mächtigen geht es um ihre Macht, die sie für die einzige und die höchste Macht halten – und durch Jesu Auftreten als bedroht ansehen. Deshalb reagieren sie entsprechend scharf. Diese Geschichte wiederholt sich bis heute. Gott wird bis heute oft als derjenige angesehen, der die weltliche Macht einschränkt und die Größe der Menschen gefährdet.
Gott als Gefahr für die Selbstbestimmung
Er wird als Gefahr für die Selbstbestimmung des Menschen wahrgenommen: als Hindernis, wenn es darum geht, über Leben und Tod zu entscheiden; als Einschränkung, wenn es um wissenschaftlichen Fortschritt geht; als Gefährdung, wenn es um das Erzielen von grenzenlosem wirtschaftlichen Wachstum geht. Oft wesentlich banaler, wenn auch nicht weniger existenziell: Gott wird angesehen als Bedrohung von Macht und Status, die sich ein Mensch beispielsweise aus einem Mangel an Selbstwertgefühl aufgebaut hat.
Nun zu meinem zweiten Aspekt: Auch, wenn das Königtum Christi nicht von dieser Welt ist, hat es doch konkrete Konsequenzen. „Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.“ Jesus mag keine Macht im weltlichen Sinne haben. Aber er legt Zeugnis für die Wahrheit ab. Und dies tut er in der Welt und für die Welt. Und wenn alle, die ihm nachfolgen, auf seine Stimme hören, ergibt sich daraus doch eine machtvolle Bewegung. Dazu bin ich, dazu sind Sie aufgerufen. Wenn ich das Königtum Christi bekenne, geht das nicht ohne Einsatz.
In diesem Kontext sollten wir nicht vergessen, dass das Königtum Christi eng mit der Passion verwoben ist. Dieser Zusammenhang wird in diesem Lesejahr besonders deutlich.
Jesus nimmt das Leid der Menschen auf sich
Jesus Christus ist kein Herrscher, dem die Massen huldigen, sondern der das Leid der Menschen auf sich nimmt und schmachvoll am Kreuz stirbt. Wie seine Krone nicht aus Gold, sondern aus Dornen ist, so ist auch sein Thron kein herausgehobener edler Stuhl, vielmehr ist sein Thron das Kreuz. Dies kann wiederum zweierlei für seine Jüngerinnen und Jünger bedeuten.
Zum einen bedeutet dies, dass sie ebenfalls bereit sein sollten, ihr Kreuz auf sich zu nehmen, und damit rechnen sollten, dass die Nachfolge nicht „leid-frei“, also ohne Leiden möglich ist. Dies kann beispielsweise bedeuten, eine Schmähung, ein böses Wort, eine falsche Unterstellung hinzunehmen, ohne zurück zu schlagen. Dies kann auch zur Folge haben, sich unbeliebt zu machen, indem ich die Wahrheit ausspreche oder einfach über meinen Glauben an den dreifaltigen Gott und die Konsequenzen für mein Leben spreche. Oder es bedeutet, beim Einsatz für andere Zeit und Kraft zu opfern oder gar sich selbst zu riskieren.
Am Leiden kommt niemand vorbei
Die Bereitschaft, Jesus Christus als dem leidenden König nachzufolgen, buchstabiert sich für jede und jeden anders. Am Leiden vorbei kommt jedoch keine Jüngerin und kein Jünger.
Zum anderen sind die Jüngerinnen und Jünger des Christkönigs aufgerufen, gegenüber allen Formen der Machtausübung kritisch zu sein. Zumindest bin ich eingeladen, kritisch zu hinterfragen, ob diese wirklich dem Leben dienen. Die Machtdynamiken – zu denen ja auch die Suche nach der eigenen Ehre und einem möglichst großen weltlichen Ansehen gehört – zu durchschauen und kritisch zu hinterfragen. Wer dem Christus-König nachfolgt, schmückt sich nicht mit falschen Lorbeeren.
Opfer von Zeit, Kraft, Geld
Er verzichtet auf Machtinsignien, die an die Insignien der weltlichen Machthaber erinnern. Er lässt auf keinen Fall andere sterben, sondern opfert Zeit und Geld, Kraft und vielleicht sogar sein Leben für andere. Dies wird Menschen in dem Maße möglich sein, wie sie sich vertraut machen mit Christi Leben und Wirken und indem sie Christus den König betrachten, dessen Krone aus Dornen, dessen Zepter ein zerbrechliches Rohr und dessen Thron das Kreuz ist.
Ob Ihnen heute eher das lebensfördernde Wirken des Christkönigs nahegeht oder Sie sich angesprochen fühlen vom Ruf in die Nachfolge des Christkönigs auf seinem Passionsweg – ich wünsche Ihnen eine gesegnete Feier des Christkönigsfestes.
(Radio Vatikan - Redaktion Claudia Kaminski)
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