Deutschland: Quo vadis Islamischer Religionsunterricht?
Unser Kollege Michael Hermann hat sich den Fragen von Radio Vatikan gestellt.
Warum setzt sich die FDP für das Aus des IRU ein?
Begründet wird dies vor allem mit den aus Sicht der Politik schwierigen Kooperationspartnern. In Nordrhein-Westfalen ist insbesondere DITIB in die Verantwortung des islamischen Religionsunterrichts miteingebunden. DITIB - also der große Verband mit mehr als 900 Moscheen in ganz Deutschland, der eng verbunden ist mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet in Ankara. Die Kritiker des IRU in Nordrhein-Westfalen thematisieren, dass damit ein Durchgriff Erdogans auf das Geschehen im Unterricht in nordrhein-westfälischen Schulen nicht ausgeschlossen sei. Und allgemein sind die Befürchtungen über einen problematischen Einfluss der Türkei in Deutschland ja sehr groß. Aktuell kam noch eine andere Sorge hinzu. Es gab empirische Untersuchungen, die eine problematische Nähe angehender IRU-Lehrkräfte zu DITIB und in der Folge zu Ankara beschrieben haben. Dazu muss man aber sagen, dass es am Design dieser Studien auch große fachliche Kritik von namhaften Professoren gab.
Gibt es nun einen problematischen Einfluss der türkischen Regierung auf den islamischen Religionsunterricht in Deutschland oder nicht?
Das ist keineswegs bewiesen. Es gibt den Verdacht. Es gibt aber auch Gutachten renommierter Wissenschaftler, zum Beispiel im Auftrag der hessischen Landesregierung, die zu dem Ergebnis kommen, dass es an Belegen für einen problematischen Einfluss oder gar für eine Radikalisierung der Schüler im IRU fehle. Zumal zwischen Ankara und den Schülern auch noch die Lehrkräfte sind. Und das sind in der Regel deutsche Beamte, die an deutschen Hochschulen ausgebildet wurden. Was man auch sagen muss: Die Bundesregierung hat zuletzt DITIB und die türkische Religionsbehörde Diyanet bewegen können, problematische Verflechtungen abzubauen. Die Kritik an DITIB nahm insgesamt aber nach dem 7. Oktober zu, auch wegen sehr schwierigen Aussagen des Diyanet-Chefs zum Krieg im Gaza-Streifen.
Arbeiten denn alle Bundesländer mit DITIB im Islamischen Religionsunterricht zusammen?
Die Situation ist hier komplex und auch etwas unübersichtlich. Die Länder gehen zum Teil recht unterschiedliche Wege. In einigen Bundesländern, vor allem in Ostdeutschland, gibt es gar keinen islamischen Religionsunterricht. In Baden-Württemberg zum Beispiel ist DITIB nicht beteiligt. In Hessen gibt es seit Jahren rechtliche Kontroversen zwischen der Landesregierung und DITIB, was deren Rolle im islamischen Religionsunterricht betrifft.
Warum ist überhaupt die Frage so wichtig, mit wem kooperiert wird? Braucht man die islamischen Verbände?
Die Vorgabe des Grundgesetzes für die meisten deutschen Bundesländer lautet, dass bekenntnisgebundener Religionsunterricht ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen ist. Der deutsche Staat hat aber bekanntlich in Religionsangelegenheiten blind zu sein. Und deshalb braucht es eine religiöse Autorität, die die Verantwortung für den Inhalt des Religionsunterrichts übernimmt. Die religiöse Landschaft der Muslime ist aber zersplittert, und nur ein Teil der Muslime gehört überhaupt einem Verband an. Deshalb ist die Frage, wer die Verantwortung übernimmt, eine schwierige und letztlich auch ein Stresstest für das deutsche Religionsverfassungsrecht. Ohne die islamischen Verbände kann es jedenfalls einen stabilen islamischen Religionsunterricht im eigentliche Sinne nicht geben.
Wie verhalten sich die Kirchen in dieser Frage?
Ich bin mir sicher, dass diese die Entwicklung genau verfolgen. Aus Kirchenkreisen hört man immer wieder: Wenn es dem deutschen Staat nicht gelingt, den vielen muslimischen Schülerinnen und Schülern ein Angebot an Religionsunterricht zu machen, dann kommt der Religionsunterricht insgesamt in Schieflage und wird an Akzeptanz verlieren. Und das ist sicher nicht im Interesse der Kirchen.
Welche Folgen hätte es, wenn ein Land den IRU zur Disposition stellt?
Zunächst einmal hat das Folgen für die religiöse Sozialisation der Kinder und Jugendlichen. Die Politik hat in der Vergangenheit oft betont, dass sie möchte, dass die Schulen hier eine gewichtige Rolle spielen, dass man die religiöse Sozialisation nicht Scheich Google, also dem Internet, oder anderen fragwürdigen Akteuren überlassen will. Zwar besuchen aktuell nur weniger als zehn Prozent der jungen Muslime den IRU, und das liegt an den fehlenden akademisch ausgebildeten Lehrkräften. Aber in dieser Hinsicht wäre ein Aus des IRU sicher ein Rückschritt. Und das Fach Ethik, das die Schüler besuchen müssten, ist etwas anderes als islamischer Religionsunterricht. Folgen hätte das Aus sicher auch für die Universitäten, an denen dann ja keine islamischen Religionspädagogen ausgebildet werden müssten. Und sicher wäre dieses Szenario auch ein weiterer Stresstest für das deutsche Religionsverfassungsrecht insgesamt.
(rv – mch)
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