Justitia et Pax: Ukraine-Krieg nicht erst vor 2 Jahren begonnen
Stefanie Stahlhofen - Vatikanstadt
Im Gespräch mit Radio Vatikan berichtet der Generalsekretär von Justitia et Pax Europa auch von einem Treffen der verschiedenen nationalen Kommissionen voriges Wochenende in Berlin:
Stefan Lunte, Generalsekretär von Justitia et Pax Europa: Wir haben uns zusammengesetzt, wie wir das einmal im Jahr tun, als Generalsekretäre der verschiedenen nationalen Justitia Pax Kommission aus ganz Europa. 20 Nationen waren vertreten. Wir haben uns ausgetauscht, haben aber auch den Kontakt gesucht mit Flüchtlingen aus der Ukraine, die jetzt schon seit einiger Zeit bei uns leben und sich arrangieren und darauf hoffen und davon träumen, dass der Krieg zu Ende geht und dass sie wieder nach Hause können.
Radio Vatikan: Welche Möglichkeiten gibt es für Frieden zwischen der Ukraine und Russland? Das Recht auf Verteidigung ist unbestritten. Aber das klingt nicht nach einem Ende des Krieges, wenn immer weiter sich alle gegenseitig bekämpfen...
Lunte: Ich glaube, da müssen wir als Außenstehende, das heißt nicht Ukrainer, sehr vorsichtig sein. Sie haben ganz richtig gesagt Der Angriff ist unproportional, illegitim, ungerechtfertigt seitens Russlands erfolgt und da sind wir als Justitia Pax Kommission ganz auf derselben Linie. Es gibt das Recht auf Selbstverteidigung. Es gibt auch das Recht von befreundeten Nationen, dem angegriffenen Staat zu Hilfe zu kommen. Aber es gibt auch die Erfahrung des unmenschlichen Leids, das dieser Krieg verursacht. Es gibt die Berichte der Caritas Direktorin Tetiana Stawnychy, Präsidentin von Caritas Ukraine, die uns von all dem Leid berichtet hat, das in diesem Land jetzt herrscht.Und man steht dann zweifelnd davor. Das Einzige, das Erste, was man sagen kann, ist, dass natürlich jeder Ausweg zunächst einmal Vorschlag die Zustimmung der Ukrainer finden muss. Wir können, glaube ich, schlecht auch aus Perspektive der katholischen Soziallehre sagen nun, diese oder jene Friedenslösung wäre die angemessene, sondern wir müssen akzeptieren formal, dass diese Lösung, wenn nicht vorgeschlagen, zumindest aber dann unterstützt wird von dem angegriffenen Land.
Radio Vatikan: Justitia et Pax trägt Gerechtigkeit und Frieden schon im Namen. Es stellt sich immer wieder die Frage: Wie kann ein gerechter Friede aussehen?
Lunte: Beim Begriff des gerechten Friedens muss man zunächst einmal in Rechnung stellen, dass der Geschichte Rechnung getragen wird. Der Krieg hat ja nicht vor zwei Jahren begonnen. Wenn Sie in der Ukraine Gespräche führen, kommt immer auch zum Ausdruck, dass es nicht nur erst seit zwei Jahren so ist, sondern dass das Ganze schon mit der Revolution der Würde, der Revolution of Dignity, auf dem Maidan 2014 begonnen hat.
Und davor gibt es die lange Geschichte des Leidens der Ukrainer und auch die lange Geschichte, die im Holodomor 1932 Ausdruck gefunden hat, wo das stalinistische Regime schreckliches Leid, Elend, Tod und Verzweiflung über die Ukraine und die Ukrainer gebracht hat.
Ich glaube, wenn wir über gerechten Frieden sprechen, dann muss die Gerechtigkeit auch vor der Geschichte Bestand haben. Man kann darüber hinaus sagen, dass man auch das Leid, und die Kriegsverbrechen, die während des Krieges jetzt verursacht werden, nicht vergessen darf und dass es auch einer Gerechtigkeit nach dem Krieg bedarf, das heißt eine Aufarbeitung der Kriegsverbrechen vor entsprechenden Tribunalen. Das wird sicher dazugehören, angemessene Entschädigungsleistungen.
Aber ich bin sehr vorsichtig und ich glaube, das müssen wir wirklich alle sein, die wir eben nicht aus der Ukraine kommen, da irgendwelche territorialen oder wie auch immer Vorschläge zu machen, wie so eine gerechte Friedenslösung aussehen könnte.
Radio Vatikan: Sie waren selbst nun auch in der Ukraine. Welche Eindrücke haben Sie von dort mit zurückgenommen?
Lunte: Wir waren vor allen Dingen im Westen. Wir waren in Lwiw. Wir waren Gäste der Katholischen Universität der Ukraine, wurden dort vom früheren Rektor und jetzigen Vizepräsidenten des Senates, dem griechisch-katholischen Priester Bohdan Prach empfangen. Wir waren beim Erzbischof von Lwiw,
Und dann fahren wir an den Häusern vorbei und betrachten Häuser, in denen riesige Schlaglöcher klaffen von russischen Raketeneinschlägen. Oder wir fahren etwas weiter und und kommen an Militärfriedhof auf dem - stellen Sie sich vor - seit Februar 2022 700 Gräber ausgehoben wurden. Der Eindruck hat uns alle sehr, sehr beschäftigt.So viele Schicksale von jungen Männern, auch etwas älteren schon, deren Familien trauern.
Also es gibt diese Spannung: Einerseits eine relativ normal lebende Stadt aber, die immer wieder auf Alarm und und Angriffe vorbereitet ist. In der Nacht nach unserer Abreise, wurde ein Gebäude getroffen von einem russischen Raketeneinschlag - eine Schule, zwei Kindergärten, schwer beschädigt. Das sind so sehr gemischte und widersprüchliche Erfahrungen in einer Stadt, die weit, weit von der Frontlinie entfernt ist.
(vatican news - sst)
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