D: Berlin will Religionsunterricht, andernorts gibt es Kritik
Während anderswo sich kritische Anfragen an den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen mehren, setzt die Koalition aus CDU und SPD auf das bekenntnisgebundene Fach. Es wird kompliziert, wenn es um die religiöse Bildung an den Schulen geht. Dazu die Frage an meinen Kollegen Michael Hermann: Warum hat der Plan des neuen Berliner Senats selbst manchen Verantwortlichen in den Kirchen überrascht?
Hermann: In der fachlichen Debatte mehren sich kritische Anfragen an den Religionsunterricht in Schulen, wie er in den meisten deutschen Bundesländern vorhanden ist. Da wird zum Beispiel argumentiert, dieser passe nicht mehr in eine zunehmend säkularere Gesellschaft. Andere Kritiker behaupten, er passe nicht mehr in die Zeit, weil die anwachsende religiöse Pluralität in den Schulen nicht mehr abgebildet werden könne. Und wieder andere bemängeln, dass Angehörige kleiner Religionsgemeinschaften zu kurz kämen, weil es für sie keinen Religionsunterricht gibt. Und da ist es schon ein Signal, wenn in Berlin – also einer Stadt mit vielen unterschiedlichen Weltanschauungen und Bekenntnissen – das angegriffene Modell erstmals eingeführt werden soll.
Wie ist das eigentlich religionsverfassungsrechtlich? Warum gab es in Berlin bislang keinen sozusagen richtigen bekenntnisgebundenen Religionsunterricht, sondern nur ein ergänzendes Fach?
Hermann: Da lohnt sich ein Blick ins Grundgesetz. Da steht nämlich klipp und klar in Artikel 7, dass bekenntnisgebundener Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach ist. Man spricht von einer res mixta, also einer gemeinsamen Sache: Der Staat stellt den organisatorischen Rahmen, die Kirchen und Religionsgemeinschaften liefern ihren bekenntnisgebundenen Inhalt, sind also für die Wahrheiten in dem Fach zuständig.
Warum gab es das bislang nicht in Berlin und auch nicht Bremen?
Hermann: Da gibt es eine Klausel, dass andere verfassungsrechtliche Regelungen, die in den Ländern vor Inkrafttreten des Grundgesetzes schon da waren, vorgehen. Und das ist in Bremen und Berlin, möglicherweise auch Brandenburg, der Fall. Berlin muss also keinen Religionsunterricht anbieten, kann es aber. Übrigens: Die anderen Bundesländer könnten den Religionsunterricht nicht einfach abschaffen, auch wenn das manchmal lautstark gefordert wird. Dazu müsste es eine Grundgesetzänderung geben. Und politische Mehrheiten hierfür sind weit und breit nicht in Sicht.
Warum haben sich die Väter und Mütter des Grundgesetzes eigentlich für dieses Modell entschieden?
Hermann: Da sprach damals und spricht heute einiges dafür: Jungen Menschen soll ein positiver und zugleich von einer kritischen Reflexion geprägter Zugang zu eigenen Religion ermöglicht werden. Insofern ist Religionsunterricht mehr als Katechismus. Aber ein Argument ist auch: Es soll einen Bereich in der schulischen Bildung geben, über den der Staat und seine Akteure nicht verfügen kann. Das spielt ja auch im berühmten Böckenförde-Diktum eine Rolle: Der Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht schaffen kann.
Wie ist das in anderen europäischen Ländern geregelt?
Hermann: Es gibt ein paar Länder, die ein mit Deutschland vergleichbares Modell haben. Aber es gibt auch laizistische Systeme wie in den allermeisten Departements von Frankreich, wo ein bekenntnisgebundener Religionsunterricht an öffentlichen Schulen undenkbar wäre.
Sie haben die lauter werdende Kritik am Religionsunterricht angesprochen. Wie gehen Staat und Kirchen damit um?
Hermann: Einige Bundesländer haben islamischen Religionsunterricht eingeführt. Das stabilisiert das Gesamtsystem. Es ist aber ein rechtlich wie politisch schwieriges Projekt, weil es an der einen religiösen Autorität im Islam als Träger des Religionsunterrichts mangelt. Die braucht man aber eigentlich, um die vorher angesprochene gemeinsame Sache, die res mixta, machen zu können. Die beiden großen Kirchen setzen auf eine intensivere Kooperation, also eine Art Ökumene im Religionsunterricht. Da gibt es unterschiedliche Modelle, manche sind auch rechtlich und religionspädagogisch nicht unumstritten. Und ferner: Alle Kirchen und Religionsgemeinschaften, die Religionsunterricht anbieten – in der Summe mehr als ein Dutzend – setzen auf Zusammenarbeit und damit religiöse Verständigung. Und diese wird defintiv immer wichtiger.
(vatican news – mch)
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