Gedenkfeier im Stephansdom: Welt braucht neue Hildegard Burjan
?Die Welt braucht heute eine neue Hildegard Burjan“, betonte Piaristenpater Jean de Dieu Tagne angesichts heutiger Formen von Armut und Ungerechtigkeit in seiner Predigt, hieß es in einem Bericht der Schwesterngemeinschaft vom Sonntag.
P. Tagne studiert Pastoraltheologie und schreibt seine Dissertation über die Umsetzung der Prinzipien der Soziallehre der Kirche in Afrika. ?Hundert Jahre zuvor hatte Hildegard Burjan die Soziallehre der Kirche, die ich im afrikanischen Kontext umzusetzen versuche, im europäischen Kontext in die Praxis umgesetzt. Die selige Hildegard war ihrer Zeit lange voraus“, würdigte der Ordensmann die Verdienste der ersten christlich-sozialen Abgeordneten, die ab 1919 dem österreichischen Parlament angehörte. Tagne rief dazu auf, sich die selige Hildegard heute als Vorbild für soziales Engagement zu nehmen.
Organisiert wurde die bereits elfte Eucharistiefeier rund um den Gedenktag Burjans jährlich vom ÖVP-Europaabgeordneten Lukas Mandl. Anwesend waren österreichische Parlamentarier von ÖVP, FPÖ und NEOS sowie Mitglieder des Wiener Gemeinderats und von Bezirksvertretungen.
Gedenken auch im europäischen Parlament
Am eigentlichen Gedenktag Hildegard Burjans, am 12. Juni, wird Sr. Karin Weiler von der Caritas Socialis im Europaparlament im Straßburg im Rahmen der von Lukas Mandl in den Plenarwochen dort veranstalteten ?Happy Hour Of Free Speech“ über die seliggesprochene Parlamentarierin sprechen
Sozialpionierin und Ordensgründerin
Hildegard Burjan (geb. Freund) wurde am 30. Januar 1883 in sächsischen Görlitz in eine liberale jüdische Familie geboren. Mit ihrem Gatten Alexander übersiedelte sie 1909 nach Wien und begann sich hier, intensiv für die Randgruppen der Gesellschaft zu engagieren. Nach Heilung von einer schweren Krankheit konvertierte sie zur katholischen Kirche und ließ sich taufen. 1912 gründete Burjan den ?Verband der christlichen Heimarbeiterinnen“ und 1918 den Verein ?Soziale Hilfe“.
Als Frauen 1919 erstmals das aktive und passive Wahlrecht ausüben konnten, zog Burjan als erste christlich-soziale Abgeordnete in das Parlament ein. Als verheiratete Frau und Mutter gründete sie im selben Jahr die geistliche Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis mit dem Auftrag, soziale Not der Zeit zu erkennen und zu lindern. Burjan setzte sich entschieden für die Gleichberechtigung der Frau, für die Bekämpfung der Kinderarbeit und für die Überwindung sozialer Missstände ein. Obwohl sie nur kurze Zeit dem Parlament angehörte, galt sie schon bald als dessen ?Gewissen“. Burjan stellte sich dem Elend großer gesellschaftlicher Schichten und verschloss vor Jugendkriminalität, Verwahrlosung und Prostitution nie die Augen.
Als im Jahr 1920 Neuwahlen bevorstanden, zog sich Burjan aus Rücksicht auf ihre stark angeschlagene Gesundheit und wegen der zunehmenden antisemitischen Strömungen auch innerhalb ihrer Partei aus dem Parlament zurück, blieb aber weiter politisch aktiv. Hildegard Burjan starb am 11. Juni 1933 an einem Nierenleiden. Sie wurde als weltweit erste demokratisch gewählte Politikerin seliggesprochen - am 29. Januar 2012 im Wiener Stephansdom.
(kap - cs)
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