Rheinl?nder an der Spree: Heiner Koch im Interview
Interview
Berlin = Diaspora – wie ist das für Sie?
?Das ist eine neue Erfahrung, die ich ähnlich als Bischof von Dresden hatte. Wir sind in Berlin 25 Prozent Christen: 10 Prozent Katholiken (das ist sehr viel) und 13, 14 Prozent Protestanten… Die größte Gruppe bei uns neben der Gruppe der Muslime (6 Prozent) sind die Menschen, die noch nie eine Berührung hatten mit einer kirchlichen Gemeinschaft. Die sich also – im Gegensatz zum Westen – nicht von der Kirche verabschiedet haben, sondern die noch nie eine Berührung mit ihr hatten. Diesen Menschen die Frage nach Gott nahezubringen: Das ist für uns die große Herausforderung. Dass es möglicherweise doch einen Gott gibt – und was das bedeutet.“
Und wie macht man das? Wie machen Sie das? Haben Sie da Ideen, Strategien, ganz unbetretene Pfade?
?Zunächst einmal: Wir leben vor allen Dingen mit den Menschen zusammen. Nicht nur ich, sondern unsere Kirchen, die Laien… Wir leben mit den Menschen zusammen und versuchen eine vertrauensvolle Basis aufzubauen für das Gespräch, das Miteinander. Außerdem bringen wir unsere Institutionen ein. Wir haben in Berlin 28 Schulen – für ein Bistum mit 400.000 Katholiken ist das enorm viel, zumal wir nicht diese finanzielle und staatliche Unterstützung bekommen, die man zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen gibt.
In den Schulen haben wir auch viele, die nicht gläubig sind. Familien, die zum ersten Mal dort mit dem Glauben in Berührung kommen. Bewusst wollen sie als Ungetaufte, dass ihre Kinder zu diesen Schulen gehen; wir haben einen hohen Andrang auf diese Schulen. In den Medien sind wir recht präsent: weil wir so exotisch sind, dass es schon wieder spannend ist, was wir denken.
Wir haben einen guten Kontakt in den politischen Bereich; zum Erzbistum Berlin gehören drei Landesregierungen: Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin, dazu die Bundesregierung. In vielen Fragen sind wir wirklich gut im Gespräch. Aber Sie müssen immer wissen: Sie sind ein Außenseiter, sind eine Minderheit – wenn auch eine respektierte und geachtete –, die Fragen stellen kann und Lösungen mit sucht. Die nicht für alles Lösungen hat, aber mit nach ihnen sucht.“
Sorgt Ihre Lage dafür, dass Sie auch ökumenisch etwas enger zusammenrücken? Vielleicht auch interreligiös? Berlin ist ja auch der Ort des ?House of One‘, das, glaube ich, noch im Bau befindlich ist…
?Also, die Ökumene ist bei uns eine gewachsene Größe, das ist ein großer Vorteil. In der Zeit der DDR und Ostberlins sprach man allgemein von den ?Christen‘, da hat man nicht mehr unterschieden, ob das katholisch oder evangelisch ist. Und die haben zusammengehalten und halten heute noch zusammen. Wir sind die Christen, die Minderheit der Christen, und wir stützen uns gegenseitig! Das ist Ökumene, von unten gewachsen – das ist sehr viel wert.
Auch der interreligiöse Dialog hat bei uns eine hohe Bedeutung. Ich habe gute Kontakte zu den jüdischen Gemeinden, die auch wieder sehr viele Untergruppierungen hat, und auch zu den Muslimen – wobei das natürlich schwierig ist. Es gibt da sehr unterschiedliche muslimische Richtungen, aber zu einigen – gerade zu denen, die sehr offen und aufgeschlossen sind – haben wir wirklich gute Kontakte.
Gerade die jüdischen und die muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger bringen immer wieder die These ein, dass Berlin eine Stadt ist, in der es gläubige Menschen nicht leicht haben. Wir müssen zusammenstehen, damit der Glaube an den Gott nicht untergeht. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ein Verantwortlicher der jüdischen Gemeinde mir bei einer Veranstaltung sagte: ?Wenn ihr die Kreuze in der Öffentlichkeit aufgebt, dann kommen als nächstes die Judensterne… Diese Angst ist da. Doch ich muss sagen: Wir haben ein gutes Verhältnis, bei aller Unterschiedlichkeit, die da ist. Wir sind froh, dass es Menschen gibt, die Gott ernst nehmen.“
Ich habe oft gehört, der typische Berliner Katholik habe polnische Wurzeln, sei ein bisschen simpel gestrickt und eher nicht intellektuell satisfaktionsfähig. Jetzt gibt es aber ein Katholisches Institut an der Humboldt-Uni.
?Also zunächst einmal ist das Publikum – die Mitglieder der katholischen Kirche in Berlin – ein höchst heterogenes. Da sind die, die aus Schlesien gekommen sind; aber natürlich sind viele aus Polen. Ich habe drei polnischen Nachbarbistümer, und die Grenzen sind sehr offen und fließend.
Wir haben auch – das muss man ja auch mal als Vorteil hervorheben – an der Ostgrenze viele, sehr viele Polen, die nach Deutschland kommen und hier leben und die plötzlich da eine katholische Blüte auch mitbegründen.
Aber vor allem haben wir Menschen aus aller Herren Ländern: 30 Prozent der Katholiken im Erzbistum Berlin sind nicht deutschstämmig. Das betrifft die Unterschiedlichkeit und auch das intellektuelle Niveau. Wir sind das jüngste Bistum, vom Altersdurchschnitt her, und das merkt man natürlich an der Studenten- und Schullandschaft.
Ich bin sehr erfreut darüber, dass wir jetzt auch in der akademischen Welt durch das Katholische Institut an der Humboldt Universität, die eigentlich nicht-kirchlich, nicht-religiös, nicht-theologisch ausgeprägt war, doch wirklich in den zwei letzten Jahren einen guten Start hatten. Wir haben gerade das Institut eröffnet, zusammen mit allen Repräsentanten der Universität und der Gesellschaft. Und ich merke, dass jetzt bei aller Skepsis vor zwei, drei Jahren (?Was soll Theologie hier? Das bringt doch nichts, wenn wir eine Eliteuniversität sein wollen...') so viel Lob und Anerkennung für die Theologie an dieser Universität vom Präsidenten, von der Dekanin der Philosophischen Fakultät und von der Wissenschaftssenatorin gekommen ist, dass ich wirklich nur froh sein kann, dass wir jetzt diesen Kommunikationsort haben. Nicht, dass die jetzt alle Christen werden – aber die Kommunikation läuft, auch auf intellektuellem Niveau. Und dafür bin ich sehr dankbar.“
Sie waren ja früher im Erzbistum Köln. Wie geht es Ihnen jetzt, wenn Sie noch mal nach Köln zurückkommen? Was würden Sie denen gerne sagen, was Sie in Berlin verstanden haben und was man in Köln vielleicht noch nicht so weiß?
?Also, der große Vorteil des Rheinlandes ist, dass die Tradition des christlichen Glaubens dort verankert ist: in Einrichtungen, im Leben, in der Gesellschaft, an Brauchtum. Das fehlt uns, das fehlt uns… Was wir stärker haben, ist, dass die Leute bei uns entschiedener sind. Wir Christen sind entschiedener. Und ich kann nur sagen: Ich glaube, dass das der Weg in die Zukunft ist. Wir müssen darauf hinarbeiten, dass die Menschen sich sehr bewusst entscheiden. Es werden wahrscheinlich weniger sein, aber mehr bewusst entschieden – das wird die Herausforderung sein.“
(vatican news – sk)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, k?nnen Sie hier unseren Newsletter bestellen.