Buchtipp: Nastjas Tr?nen
Als Natascha Wodin 1992 nach Berlin kommt, sucht sie jemanden, der ihr beim Putzen hilft. Sie gibt eine Annonce auf, und am Ende fällt die Wahl auf eine Frau aus der Ukraine, dem Herkunftsland ihrer Mutter, die im Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiterin nach Deutschland verschleppt wurde. Zu spät bemerkt sie, dass ihr Touristenvisum abgelaufen ist. Unversehens schlittert sie in das Leben einer Illegalen, wird Teil der riesigen Dunkelziffer an Untergetauchten im Dickicht der neuen, noch wildwüchsigen deutschen Hauptstadt.
?Nastjas Tränen“ ist ein starker Roman, man hat das Gefühl, eine echte dokumentarische Geschichte zu lesen. Das Besondere an dem Buch ist der Schreibstil und der Inhalt, die wie eine Psycho- und Milieustudie ausschaut. Man erfährt viel über das Gute im Osten und das Böse im Westen sowie genau das Umgekehrte. Die heile Welt ist überall und nirgends, das schlimme Schicksal kann ebenfalls überall lauern.
Es handelt sich um einen fiktiven Biographie-Roman. Die Autorin wurde als Kind sowjetischer Zwangsarbeiter geboren und wuchs in Lagern für Displaced Persons auf, zunächst im Valka-Lager in Nürnberg, dann in einer Siedlung in Forchheim. Als sie elf Jahre alt war, nahm sich ihre Mutter das Leben. In ihren Werken setzt Wodin sich vor allem mit dem Thema der Entwurzelung, Fremdheit und Ortlosigkeit auseinander, mit Außenseiterexistenzen und Grenzgängern, mit der Diskrepanz zwischen innerer und äußerer Wirklichkeit.
Auch in ?Nastjas Tränen“ erkundet sie wieder verborgene Schicksäle. Lebensgeschichten vermischen sich, Kulturen verflüssigen sich. Der Roman ist ein guter Einblick auf die Probleme, Herausforderungen und Gedankenwelten vieler Osteuropäer im Westen – und umgekehrt eine Entdeckung des Westens für Osteuropäer.
Zum Mitschreiben:
Natascha Wodin: Nastjas Tränen. Roman. Rowohlt Verlag, Hamburg 2021; Gebunden, 192 Seiten, 22,00 Euro.
Eine Rezension von Mario Galgano.
(vatican news)
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