Schweiz: So viele Kirchenaustritte wie noch nie
31.772 Menschen in der Schweiz sind im vergangenen Jahr ausgetreten – das ist ein Viertel mehr als im Vorjahr. 2018 musste die katholische Kirche 25.366 Austritte hinnehmen. Das zeigen neueste Zahlen und ein Bericht des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts (SPI) in St. Gallen. Das Institut wird von der katholischen Kirche in der Schweiz getragen.
Austrittswelle, die wieder abebbt?
Bereits die Kirchenstatistik 2018 vermeldete eine Zunahme der Kirchenaustritte um ein Viertel. 2017 lag die Zahl der Austritte noch bei 19.893.
In manchen Jahren beobachten die Statistiker Austrittswellen, die durch bestimmte Ereignisse ausgelöst werden. Etwa 2010, als Berichte über die Piusbrüder und Missbrauch Schlagzeilen machten. Ist die Welle vorüber, nimmt die Zahl der Austritte wieder ab.
Nun registriert das SPI seit 2018 einen zweiten steilen Anstieg. ?Vermutlich handelt sich auch hier um eine Welle, die wieder abebbt. Aber man weiss es noch nicht“, sagte Projektleiter Urs Winter-Pfändler nach Angaben der Nachrichtenagentur cath.ch.
Häufung kritischer Themen
Laut dem Forscher spielte eine Häufung kritischer Themen eine Rolle. 2019 wurde bekannt: Nicht nur Kinder und Jugendliche werden durch Kirchenleute missbraucht, sondern auch Ordensfrauen. Oder die Kritik an der Diskriminierung der Frau bekam 2018 mit dem Austritt prominenter Katholikinnen und dem Frauenkirchenstreik 2019 neuen Aufwind.
Austritt bald etwas Normales?
Die hohen Austrittszahlen werfen beim SPI die Frage auf, ob der Kirchenaustritt in der breiten Bevölkerung an sozialer Akzeptanz gewinnt. Winter-Pfändler kann sich vorstellen, dass ein Austritt irgendwann vielerorts keinen besonderen Schritt mehr darstellt. ?Im Kanton Basel-Stadt sind 50 Prozent der Bevölkerung konfessionslos. Das Normale ist dort jetzt schon die Nicht-Zugehörigkeit.“ Aber er bleibt vorsichtig: ?Man muss dies in den nächsten Jahren beobachten.“
Steuern sparen – kein Austrittsmotiv in manchen Kantonen
In der Deutschschweiz haben die Kirchenaustritte im vergangenen Jahr in allen Kantonen zugenommen. Die Kantone Genf, Wallis, Neuenburg und Waadt verzeichneten hingegen kaum Austritte, schreibt das SPI. ?Ein Umstand, welcher sich durch die unterschiedlichen Kirchensteuersysteme erklären lässt. In den genannten Kantonen entfällt das Motiv des Kirchenaustritts, um Steuern zu sparen.“
Zürich ist Spitzenreiter in absoluten Zahlen
Spitzenreiter bei den Austritten ist der Kanton Zürich (7044), gefolgt vom Aargau (4.672), von St. Gallen (3.393) und Luzern (3.280). Wenig Austritte gab es im Vergleich in den katholisch geprägten Landkantonen Obwalden (273), Nidwalden (265) und Uri (256).
Betrachtet man die Austrittsquote (Austritte pro 100 Mitglieder), sieht das Bild anders aus. Basel-Stadt kommt mit 4,9 Prozent an erster Stelle. Dann folgt Aargau mit 2,2 Prozent und Solothurn mit 2,1 Prozent. Am anderen Ende der Skala stehen Appenzell-Innerrhoden (0,5 Prozent), der Kanton Jura (0,8 Prozent) oder Uri (0,9 Prozent).
Fast ein Viertel sind 50 plus
Die Forscher stellten fest: In dem Ostschweizer Kanton sind in den letzten neun Jahren immer mehr Menschen zwischen 51 bis 65 Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten. 2019 waren 24 Prozent der Ausgetretenen in diesem Alter, 2011 hingegen erst 16 Prozent. Gleichzeitig blieb die jüngste und die älteste Alterskategorie im Längsschnitt konstant.
Dieser Befund lasse ?aufhorchen“, schreibt das SPI. Die meisten Menschen seien zwischen 25 und 35 Jahre alt, wenn sie austreten, sagt Winter-Pfändler. ?Sie fällen diesen Entscheid, wenn zum ersten Mal die Kirchensteuer fällig wird. Wir fragen uns nun, ob jetzt die Eltern von ihren Kindern lernen und die Hemmschwelle auch bei den Älteren wegfällt?“
(cath.ch – sk)
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