Unser Sonntag: Das leere Grab
Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz
Joh 20, 1-9 oder Joh 20, 1-18 Hochfest der Auferstehung des Herrn
Ostern bedeutet Überfülle an Wunder, und doch: welch karge Einleitung: ?...und sie sah, daß der Stein vom Grab weggenommen war“! Dabei überschlagen sich die Ereignisse, wenn man sie zusammenstellt: Sie lassen sich nur mühsam ordnen, offenbar sprengt das Hereinstürzende alles Zeitgefühl. Zunächst aber nur die fast lautlose Ouvertüre: Niemand und nichts erscheint, nur: Er ist weg. Ist er gestohlen, ist es sogar Leichenschändung - zu welchen Zwecken? Denn der Leichnam wurde ausgewickelt, die Tücher liegen ja im offenen Grab. Was hat man ihm getan?
Magdalena, tränenblind, sieht die leere Höhle, und nun beginnt das atemlose Hasten in Frühdunkel hin und her zwischen Friedhof und Stadt. Zu dritt laufen sie zurück, die Männer voran. Johannes fliegt, seine Liebe nimmt eine noch unbegriffene Witterung auf. Auch Petrus hat Grund zur Eile: nach dem abgründigen Verrat sollte er wenigstens jetzt den letzten Liebesdienst leisten, den schon Verlorenen ein letztes Mal suchen, eine winzige, ach so bitter bezahlte Geste der Reue. Vielleicht deswegen übernimmt er das Vorpreschen, freilich gebrochen, mit schmutziger Seele. Er registriert die schön gefalteten Tücher, merkwürdigerweise auch ihre Lage – dann doch kein Diebstahl? Und er versteht nichts.
Die Begriffstutzigkeit des Petrus...
Wie kostbar ist seine Begriffsstutzigkeit für uns Nachgeborene. Blind, in Sinnlosigkeit versackt, sieht der Arme mit dem gebrochenen Blick – nichts. Es ist die leere Minute vor dem bereits anschwellenden Donner einer alles erschütternden Erfahrung. Versuchen wir ein weiteres Blitzlicht auf das schwer nacheinander zu Ordnende: In diesen unbegreiflichen Frühmorgen sind Menschen verwoben – die Frau, die Jesus einst aus der Hölle von sieben Dämonen holte; der Mann, der ihn verleugnete und diese bittere Schande ausleidet; der Lieblingsjünger, der trotz allen warmen Ruhens an der Brust Jesu auch geflohen war – dann aber das Sterben Jesu, den Herzstich, die amtliche Todesfeststellung miterlebte. Dieses Trio wird Zeuge – wovon? Von leeren Hüllen im Grab. Aber diese Leere vibriert. Petrus und Johannes werden wohl den ganzen Tag rätseln – drängen nicht unverstandene Worte Jesu aus dem Unterbewußtsein nach oben?
Erst am Abend kommt der Gesuchte, Geliebte, Verratene zu den Entsetzten. Zu der Frau und ihren Tränen kommt er rascher. Hätten sie nicht doch etwas ahnen müssen? Steht nicht doch ein Lösungswort in der alten, heiligen Überlieferung? Ja, aber all das wird erst später aus dem Übermächtig-Unbegreiflichen zusammengefügt. Alle Ostertexte überstürzen sich, erscheinen wie Bruchstücke. Warum? Schwer ist es für einen Gott, sich anzupassen unserem Maß.
Seit Ostern ist die Allmacht nicht mehr gebändigt
Nacht verhüllt das Geheimnis der Geburt Jesu. Aber eine tiefere Nacht verhüllt das Geheimnis der Auferstehung. Die Kirche greift in den Lesungen der Osternacht zurück auf den Schöpfungsmorgen – das ist der einzige, aber immer noch nicht treffende Vergleich. Denn wirklich: Auferstehung ist größer als die Schöpfung. (?Du hast uns geschaffen, und noch wunderbarer erneuert“, sagt der kühne Satz.) Als der von den Spuren der Folter Gezeichnete das Grab sprengt, geschieht ein Anfang über alle Anfänge hinaus, in einen Anfang hinein, ?der kein Ende mehr hat“. Denn: Seit Ostern ist die Allmacht nicht mehr gebändigt. Die sinnraubende Furcht weicht dem Frieden über alles Begreifen; der Sendung, die aus allem herausreißt. All das kann Johannes auf zehn Zeilen unterbringen. Nirgends wird das Evangelium ein Roman; jede Ausschmückung, jede Erläuterung fehlt.
Und es geht immer noch weiter. Erschütterung pur läuft durch den ganzen Tag bis zum Abend. Dort steht Jesus vor den verschreckten Männern (denen die Feigheit noch im Nacken sitzt), gibt ihnen die gewaltige Gabe der Vergebung durch den Geist (die bis heute wirksam ist), dann die atemlos schöne Szene mit Thomas - und zuletzt der Hinweis, es sei noch viel mehr geschehen. Wenn es eines Beweises bedürfte, daß das Evangelium kein Märchen erzählt, dann hier: Was hätte ein begabter Texter aus diesen kargen Mitteilungen machen können, unendliche Romane... Aber das Überwältigende braucht keine Ausschmückung. Alles drängt; die Fakten jagen sich; was geschieht, geht über alles Begreifen. Wie kostbar deswegen das Mißtrauen des Thomas gegenüber solchen Nachrichten – sie sind ja ?unmöglich“. Aber wie umwerfend dann sein Zusammenbruch. Immer noch ist nichts begriffen, außer: Es ist wirklich Er. Dieser Blitz schlägt ein. Bis heute hämmert das Herz davon.
Ist der Friede, den die vor dem Kreuz weggelaufene Mannschaft erfährt, dasselbe wie unsere Wohlfühl-Kultur? Ist die Sendung, die vom Vater und vom Sohn ausgeht, in unserem verschämten Reden von Gott erkennbar? Und wird die Sündenlösung, die mit Christi Blut bezahlt ist, heute gewünscht? Der Hauch von Vergebung, mit dem die Jünger am Osterabend angehaucht werden?
Die Frucht ist der Geist
Denn am Abend der Auferstehung kommt die große Gabe. Der Abend ist ja nicht das Ende des Tages, sondern im Judentum schon Beginn des neuen - zu Wohl und Wehe. ?Am Abend, als es kühle ward, ward Adams Falle offenbar, am Abend kam die Taube wieder“, heißt es in der Matthäus-Passion Bachs. Am Abend erhalten die Jünger die Frucht der entsetzlichen drei Tage. Und das Entsetzen versinkt, als wäre es nie gewesen; es ist Friede, Friede über alles Begreifen. Diese Frucht ist der Geist; griechisch heißt er pneuma. An Pfingsten, fünfzig Tage später, wird er feurig im Sturm herabstoßen. Hier kommt er im Hauch, im intimen Raum. Wo haben wir früher vom Hauch gelesen? In der unvordenklichen Stunde, als Adam, der Erdenkloß, das Leben empfing, mehr als das: das göttliche Leben selbst empfing. Und ein andermal: Als Elia den Herrn kommen fühlte, nicht im rollenden Donner, nicht im rasenden Unwetter, sondern im leisen Wehen: Da zeigte dieses unvorstellbar Schöne und Leise die Gegenwart des Herrlichen.
Gläubig aus Freude
Und doch blutet heute die Beichte aus. Lassen wir uns nicht lösen – weil die Träger der Vollmacht meist so erbärmlich sind wie wir selbst? Aber das Erbärmliche macht ja nichts mehr, eben das hat der Geist gelöscht, überwunden. Warum bleiben wir verschlossen, wie einst das Grab? Während der große Löser draußen wartet.
Alle Osterevangelien umkreisen so das Ungeheure. In immer neuen Anläufen, fast atemlos, ein wenig uneinheitlich wird erzählt; das erhöht die Glaubwürdigkeit, zeigt das Unbegreifliche und Unbegriffene, das über allen Verstand geht. Den ganzen Tag lang geschieht das Furchterregende. Es macht vor Glück zittern, durchbebt den ganzen Text: ER kommt. Der nur eine leere Stelle hinterließ, der nur einen Lidschlag lang in Emmaus erkannt wurde, ER zeigt sich leibhaft.
Wir können immer wieder nur dastehen: Ungläubig vor Freude. Oder doch: Gläubig aus Freude.
(radio vatikan - claudia kaminski)
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