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Pater Heiner Wilmer, ernannter Bischof von Hildesheim Pater Heiner Wilmer, ernannter Bischof von Hildesheim 

Neuer Bischof von Hildesheim: ?Miteinander der Konfessionen tut uns gut"

Der ernannte Bischof von Hildesheim, Pater Heiner Wilmer, h?lt die katholische Kirche in Deutschland für eine besonders spannende Ortskirche. Als Ursprungsland der Reformation habe es Deutschland zu einer gro?en ?Nachdenklichkeit in den jeweiligen Konfessionen“ gebracht, die in einen fruchtbaren Wettbewerb miteinander treten. ?Ich finde, dass dieses Gegenüber, das Miteinander, dieses Zusammen uns guttut. Im Dialog wird die Wahrheit gefunden“, sagte der Ordensmann im Interview von Pope.

Wilmer kehrt nach drei Jahren, die er als Ordensoberer der Herz-Jesu-Priester in Rom und reisend um die Welt zubrachte, zurück nach Deutschland. Am 1. September empfängt er die Bischofsweihe im Dom von Hildesheim. Gudrun Sailer bat Pater Wilmer vor seiner Abreise aus Rom zum Interview.

Pope: Pater Wilmer, ein Bischofsstuhl ist ein Lehrstuhl. Das passt gut zu Ihnen, Sie waren Lehrer und Schuldirektor. Nun wollen Sie vor Ihrer Bischofsweihe in Hildesheim den Spieß umdrehen und bei Jugendlichen in die Lehre gehen: bei einer Pilgerreise durch Ihr zukünftiges Bistum, die Jugendlichen sollen Ihnen sagen, was für ein Bischof Sie sein sollen. Lehrer und Lernende tauschen die Rollen. Was erwarten Sie sich davon?

Heiner Wilmer: ?Die Jungen sind meine Exerzitienmeister. Sie sollen mir sagen, was sie glauben, was sie erfreut, was sie beflügelt, wovon sie träumen, aber auch, was sie bedrückt. Sie sie sollen mir sagen, was ich hoffen und glauben darf. Sie sollen mir auch sagen, wie Bischof geht, was sie vom Bischof erwarten, was ich tun soll. Das möchte ich, dass die Jungen mir sagen. Und zwar deshalb, weil ich ein alter Lehrer bin. Ich war gerne Lehrer und mit jungen Menschen zusammen. Deswegen weiß ich, man ist nur dann ein guter Lehrer, wenn man Schüler und Lernender bleibt.“

Pope: Ich komme darauf zurück: Das Lehren ist Ihr Auftrag als Bischof. Wie wollen Sie das angehen, wenn Sie zuerst einmal nachfragen, wie Sie sein sollen?

Heiner Wilmer: ?Ich glaube, man ist nur dann wahrhaftig ein Lehrender, wenn man zunächst ein Hörender ist. So verstehe ich auch meinen Bischofsdienst: dass ich viel öfter und länger hinhören sollte, als ich spreche und lehre.“

?So verstehe ich meinen Bischofsdienst: dass ich länger hinhören sollte, als ich spreche und lehre.“

Pope: Und warum gerade den jungen Leuten zuhören?

Heiner Wilmer: ?Das tut der Kirche gut. Sie sind unverstellter, sehr kreativ. Junge Menschen fragen kantiger, fragen eher, was habe ich davon, was bringt mir der Glaube, was habe ich überhaupt von Kirche. Diese Fragen klingen für manche vielleicht platt, das sind sie aber nicht. Sie sind ehrlich, und sie brauchen eine Antwort.“

Pope: Papst Franziskus hat mehrfach darüber gesprochen, wie er sich einen guten Bischof denkt. Er möchte Bischöfe, die anwesend sind (?seid keine Flughafen-Bischöfe“), und sie sollen sich kein anderes Volk wünschen als das, das ihnen anvertraut ist. Was sagt Ihnen das?

Heiner Wilmer: ?Ich freue mich auf die Menschen in Hildesheim! Ich freue mich auf alle, auf die jungen, die älteren, auf die Gesunden und die Kranken, auf die Katholiken, die Evangelischen, die anders religiöse Aufgestellten, ich freu mich auf die Kritischen, die Ungläubigen, die Agnostiker, für mich ist die innere Haltung entscheidend. In welcher Haltung gehe ich auf die Menschen zu? Das ist für mich ein Schlüssel und inneres Programm.“

Pope: Können Sie sich andererseits Situationen vorstellen, in denen Sie auch sagen: Nein, so geht das nicht in meinem Bistum?

Heiner Wilmer: ?Doch, natürlich kann ich mir vorstellen, dass Dinge verändert werden müssen. Aber ich werde sicher nicht sagen, so, es reicht, so geht das nicht. Ich bin jemand, der vorher schon sehr lange schon mit anderen unterwegs ist, mit anderen spricht und zuhört, nachfragt: wie sehen Sie das, wie könnten wir hier weiterkommen? Eine Veränderung kann an sich nur gemeinsam angegangen werden, nie als Alleinentscheidung.“

?Eine Veränderung kann nur gemeinsam angegangen werden, nie als Alleinentscheidung.“

Pope: Sie sind ein Teamarbeiter?

Heiner Wilmer: ?Ja, für mich ist die Arbeit im Team wichtig. Ich komme jetzt zum vierten Mal in meinem Leben in eine Leitungsaufgabe, zunächst war ich auch Schulleiter einer großen Schule gewesen mit 1300 Schülern und über 90 Kolleginnen und Kollegen, dann Provinzial der deutschen Provinz, jetzt Generaloberer einer Ordensgemeinschaft mit 2.200 Mitgliedern, auf vier Kontinenten. Das können Sie nur überleben, wenn Sie im Team arbeiten und lange hinhören und fragen, vielleicht Vorschläge machen, oder Vorschläge, die andere machen, aufgreifen und sie wieder zur Diskussion stellen.“

Pope: Als Ordensoberer waren Sie die Hälfte des Jahres unterwegs in der ganzen Welt, überall da, wo Ihr Orden Niederlassungen hat. Der Bischof ist im Vergleich eine sehr sesshafte Figur. Was von Ihrer weltkirchlichen Erfahrung wird Ihnen in Hildesheim zugutekommen?

Heiner Wilmer: ?Vieles. Ich bin in den drei Jahren in knapp 40 Ländern gewesen, vor allem auch in ganz anderen Kulturen, und habe erlebt, dass Kirche, Glaube, Religion sehr unterschiedlich sein können; dass es viele verschiedene Wege gibt, nicht nur nach Rom, sondern zu Gott, und dass Menschen sehr kreativ sein können. Das macht mich deutlich entspannter gegenüber Strukturen, gegenüber Dingen, die es schon immer gab, von denen man meint, es könne gar nicht anders gehen, und es kann und darf sich nicht verändern – das sehe ich alles sehr entspannt. Ich nehme vor allem aber auch den Missionsgeist mit.“

Pope: Das Wort Mission hört man in Europa manchmal mit Argwohn…

Heiner Wilmer: ?Das weiß ich, aber ich finde, wir leben in einer Zeit, in der schon die Frage da ist, inwieweit wir den Glauben neu vorschlagen. Es kann nicht sein, dass wir einfach so weitermachen wie bisher nach dem Motto, der Heilige Geist wird’s schon richten. Ich glaube stark an den Heiligen Geist, aber er braucht auch die menschliche Natur, er braucht unseren Willen, unsere Kreativität, und all das nehme ich mit ins Bistum Hildesheim.“

?Das macht mich deutlich entspannter gegenüber Dingen, die es schon immer gab, von denen man meint, es könne gar nicht anders gehen.“

Pope: Sie leben, seit Sie mit 19 Jahren in den Orden eingetreten sind, immer im Gemeinschaft mit anderen und übersiedeln jetzt ins Bischofshaus in Hildesheim. Nun liegt seit Papst Franziskus, der im Hotel wohnt statt im Papstpalast, immer auch ein gewisses Augenmerk auf der Residenz, die sich der Bischof wählt. Warum gehen Sie ins Bischofshaus und nicht, sagen wir, in eine Wohngemeinschaft?

Heiner Wilmer: ?Ich habe mir das Bischofshaus angeschaut und hatte offen gesagt schon ein bisschen Sorge, wie das sein könnte, wenn ich da allein wohnen würde, weil ich überhaupt kein Single bin. Ich muss aber sagen, Gottseidank werde ich nicht alleine sein! Das war eine wunderbare Überraschung: Ich werde sogar nicht nur in einer WG wohnen, sondern, noch besser, in einer Gemeinschaft, mit vier Kanisianerbrüdern, die aus dem Münsterland und dem Rheinland stammen. Wir sind im selben Haus. Jeden Morgen, wenn ich da bin, beten wir zusammen um Viertel vor sieben, anschließend feiern wir die Messe, mittags sitzen wir immer gemeinsam zu Tisch, essen und trinken Kaffee, und es gibt Abendgebet. Das sind vier Brüder, die sind gut drauf, frisch und munter, und für mich auch so Gesprächspartner, die das Bistum kennen, die ich hier und da mal frage, wie sehen Sie das, und das ist toll! Ich freue mich auf die Gemeinschaft im Bischofshaus.“

Pope: Sie waren auf sechs Jahre als Ordensoberer gewählt. Sind Ihre Mitbrüder Ihnen insgeheim böse, dass Sie sie gewissermaßen im Stich lassen in der Hälfte des Mandats?

Heiner Wilmer: ?Mir sind sie nicht böse, aber sie haben natürlich auch gefragt: Mein Gott, wie kann der Papst Franziskus so etwas machen? Einen Mitbruder in der Mitte der Amtszeit herausholen? Andere sagen: Wir lieben unsere Kirche und stehen auch hinter unserem Heiligen Vater; er hat den Überblick, er muss es wissen.“

Pope: Ihr Nachfolger an der Spitze der Herz-Jesu-Priester wird bei einem eigens einberufenen Generalkapitel Mitte Juli bestimmt. Wählen Sie mit?

Heiner Wilmer: ?Nein, ich werde nicht dabei sein. Ich werde am ersten Tag bevor es losgeht einen Gottesdienst halten, predigen und zum Schluss ein Wort des Dankes sagen. Danach setze ich mich ins Flugzeug und fliege nach Deutschland.“

?Ich sage nicht, dass ich fundamental von Glaubenszweifeln geplagt bin. Ich sage, dass ich Phasen hatte, und vielleicht auch habe, in denen auch mal Zweifel aufkommen.“

Pope: Sie haben zwei Bücher geschrieben, wahrscheinlich mehr, aber zwei habe ich gelesen. Das erste: Gott ist nicht nett, ein Priester fragt nach seinem Glauben. Das ist eine Art persönliche Suchbewegung nach Gott anhand Ihrer Biografie, die Sie da schildern. Was war Ihnen ein Anliegen mit diesem Buch?

Heiner Wilmer: ?Aus meiner Sicht können wir nicht wirklich über den Glauben sprechen, wenn wir nicht auch über die Zweifel sprechen. Zweifel, das ist wie die andere Seite der Medaille des Glaubens. Ich habe Fragen angesichts von Lebensmomenten, Scheitern, von Todesfällen, von Krankheiten, von Wegen, die plötzlich überraschend anders laufen. Was verbirgt sich dahinter? Wie kann das sein? Was heißt das für mich? Wo ist Gott? In der französischen Kultur, die mich tief geprägt hat, heißt es: Ich kann nur dann den Glauben weitergeben, wenn ich ihn teile. Den Glauben teilen - wie das Brot brechen, wie man gemeinsam bei Tisch sitzt. Mit anderen Worten: Ich kann nur dann wirklich lebendig über den Glauben sprechen, wenn ich auch ein Stück von mir selbst gebe, und nicht nur sage, das und das steht im Evangelium und so möchte Gott das vielleicht. Man muss sich auch die Frage stellen: Wie mache ich das?“

Pope: Wie kann man Bischof sein, wenn man mitunter an Christus zweifelt?

Heiner Wilmer: ?Ich sage ja nicht, dass ich fundamental von Glaubenszweifeln geplagt bin. Ich sage, dass ich Phasen hatte, und vielleicht auch habe, in denen auch mal Zweifel aufkommen. Vom Typ her bin ich aber jemand, der ein großes Vertrauen hat, mich prägt innerer Friede. Da sehe ich ganz entspannt in die Zukunft.“

Pope: Ihr zweites Buch, eben erst erschienen: Mose, Wüstenlektionen zum Aufbrechen. Sie beschreiben darin Mose als Rebell, einen Aufständischen gegen Anordnungen Gottes, einen, der nicht einfach sich hinkniet und in Anbetung versinkt, sondern der diesem Gott stellenweise auch die Stirn bietet. Ein Mann mit Widersprüchen, ein gebrochener Held. Ihre These ist, genau deshalb taugt Mose heute zum Vorbild. Inwiefern?

Heiner Wilmer: ?Weil ich glaube, dass unser Glaube heute eher in der Linie des Mose ist, als in der archaischen Linie von Noah. Noah, dem widerfuhren Dinge und er hat sich dem Schicksal, dem göttlichen Ruf, dem, was dann anstand gefügt. Mose ist ein Rebell, er akzeptiert das so nicht, er ist kritisch. Und ich finde, die Gesellschaft in der wir leben, ist ähnlich. Wir akzeptieren zwar oft viel mehr, als wir meinen, aber wir sind schon deutlich kritischer. Wir sind eine Demokratie, in der die Stimme des Einzelnen gilt, nicht die Stimme eines Stammes. Jeder kann sagen und denken, was ihn beschäftigt. Die Meinung ist gefragt. Wir haben sogar eine Kultur, in der die Kritik gefördert wird. In allen Schulprogrammen, in allen Ausbildungsberichten heißt es: Wir wollen junge Menschen erziehen zu kritischen Christen, zu kritischen Bürgern, die selbstständig Verantwortung übernehmen.“

?Durch diese Lebendigkeit des Austausches, durch das gemeinsame Ringen und durch die Suche nach der Wahrheit ist die deutsche Kirche schon sehr spannend.“

Pope: Stichwort Kritik: Die deutsche Ortskirche, in die Sie jetzt zurückkehren, gilt in Rom manchmal als schwierig, vorpreschend, im Kern hohl. Wo sehen Sie die Stärke der katholischen Kirche in Deutschland?

Heiner Wilmer: ?Aus meiner Sicht ist die deutsche Kirche eine sehr spannende Kirche, weil Deutschland das Ursprungsland der Reformation ist. Das ist einmal das eine. Dann haben wir in Deutschland, wie auch überhaupt in Mitteleuropa, eine große Nachdenklichkeit in den jeweiligen Konfessionen, manchmal fast ein bisschen wie ein Wettbewerb. Wir haben zum Beispiel das Phänomen in Tübingen, da haben wir zwei große Fakultäten, die evangelische und die katholische Fakultät. Ich finde, dass dieses Gegenüber, das Miteinander, dieses Zusammen uns guttut. Kommunikationstheoretisch gesagt sind wir in Deutschland wie zwei kommunizierende Röhren. Wie Platon sagt: Im Dialog wird die Wahrheit gefunden. Ich finde durch diese Lebendigkeit des Austausches, durch das gemeinsame Ringen und durch die Suche nach der Wahrheit ist die deutsche Kirche schon sehr spannend.“

Hier unser Interview zum Hören:

(Pope – gs)

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10. Juli 2018, 09:02